In der „Odyssee“ ist Nepenthe ein Zaubertrank, er soll der schönen Helena helfen, ihren Kummer zu vergessen. Auch das gleichnamige dritte Album von Julianna Barwick hat ein großes Trostpotenzial, ist eine Trauerarbeit nach dem Tod eines Familienmitglieds. Glücklicherweise klingt die Musik nie pathetisch, nach Anklage oder Selbstmitleid, sondern eher schwerelos, geisterhaft. Oft sind es an- und abschwellende Akkorde, fließende Texturen, die wie ein leichter Nebel alles durchdringen, umhüllen und, ja, beschützen. Das zum Sigur-Rós-Umfeld gehörende Streicher­ensemble Amiina ist dabei, Robert Sturla Reynisson, der Gitarrist der Band Múm, und ein Mädchenchor. Den Rest macht Barwick mit ihrer außergewöhnlichen Stimme.

Man hört, dass dieses Album in Island entstanden ist, unter der Regie von Alex Somers, dem Lebensgefährten von Sigur-Rós-Sänger Jonsi Birgisson. Es ist die perfekte Weiterentwicklung des von Kritikern bejubelten Vorgängers „The Magic Place“ – nur ätherischer und deutlich detaillierter ausgearbeitet. Wie Julie Cruise, Sheila Chandra, Laurel Halo und teilweise Julia Holter gehört auch Julianna Barwick zum Kreis jener Sängerinnen, die mit ihren Stimmen neue Klang-Ästhetiken erschaffen, die zugleich emotional und abstrakt klingen. Barwick vermeidet jeden Schwulst und Kitsch und ist dennoch nie so kühl und funktional wie die Ambientmusic von Brian Eno. Vielleicht ist es Einsamkeit, die sich auf diesem außergewöhnlichen Album in Hoffnung verwandelt. Aber am Ende wird jeder etwas anderes hören, denn wie bei Muscheln, die sich Kinder gern ans Ohr halten, klingt das Rauschen im eigenen Kopf immer mit.