„Phrases And Philosophies For The Use Of The Young“ ist ein Nebenwerk des Dichters und Hasardeurs Oscar Wilde. Eine Sammlung von Sinnsprüchen wider die restriktive Moral des viktorianischen Englands. In Anlehnung an Wilde posiert Julian Casablancas nun auf dem Cover seines ersten Solo-Albums als moderner Dandy mit Grammophon und Hund. Frei nach dem Wilde-Motto: „In allen wichtigen Dingen ist Stil, nicht Aufrichtigkeit, das Wesentliche.“

Jenes Kompendium hat Casablancas inspiriert zu diesen Songs, und man glaubt sofort, dass der Sänger sich wiederfindet in Sätzen wie „Ehrgeiz ist die letzte Zuflucht des Versagens“. Denn übertriebene Strebsamkeit wird dem Strokes-Sänger keiner unterstellen wollen. Der britische „NME“ hat vor einiger Zeit einen zugegeben etwas spießigen, aber lustigen Leistungsvergleich zwischen den Strokes und den kurz danach auf der Bildfläche erschienenen Kings Of Leon unternommen – mit dem Ergebnis, dass Casablancas „der faulste Songschreiber der Welt“ sei.

Tatsächlich hat Casablancas in den letzten vier Jahren meist geschwiegen. Nun aber wischt er alle etwaigen Demokratisierungsforderungen der in allerlei Konstellationen emsig werkelnden übrigen Strokes-Musiker gleich mit dem ersten Song beiseite: „Out Of The Blue“, einem genial leichtfüßigen Zauberwerk von einem Lied.

Kein zufällig gewählter Titel, denn „aus dem Blauen heraus“ kommt diese Platte ja tatsächlich. Quasi-heimlich hat er mit den Produzenten Jason Lader und Mike Mogis (Bright Eyes) an „Phrazes For The Young“ gearbeitet. Die Instrumente spielte der Sänger überwiegend selbst ein, aber ein „kleines Indie-Album“ ist es nicht geworden – eher ein wohldurchdachtes Mammutwerk, auf dem kein zufälliger Ton ist, jedes Schnarren des Drum-Computers austariert scheint. Ebenso wie Wilde, der damit prahlte, den „Dorian Gray“ in vier Tagen verfasst zu haben, gelingt es auch Casablancas, die Mühen schwerer Arbeit beiläufig und leicht klingen zu lassen – ein Umstand, der ja das Genie vom guten Handwerker unterscheidet.

Und da es um Zivilisationskritik geht, gibt es natürlich keine bessere Form als den Stil der 80er Jahre, von Hippies als die Dekade der ultimativen Pop-Künstlichkeit verpönt­. Allerdings handelt es sich um eine staubfreie Adaption typischer Achtziger-Beats, der etwa die großartige Single „11th Dimension“ ihren stringenten Beat verdankt – so was hätte er mit den Strokes nicht machen können. Dennoch schimmert deren Handschrift immer wieder durch. Bereits auf „First Impressions Of Earth“ war ja Großgedachtes wie „Ize Of The World“, ein Song, der mit dem besten Lied dieser Platte, „River Of Brakelights“, einen direkten Widergänger findet.

Casablancas formuliert lakonischeAnklagen gegen Gier und Arroganz und wettert gegen die Yuppisierung der Lower East Side („Ludlow Street“). Am Ende jedoch ist es die Sehnsucht nach Liebe, die dieses Album durchzieht. Doch wo es bei Wilde heißt, „Sich selbst zu lieben, ist der Beginn einer lebenslangen Romanze“, enden diese Phrasen so: „But if you stay with me, I’ll always be around.“

Mit der Reduziertheit von „Is This It“ begann das Jahrzehnt – mit dem nur acht Songs enthaltenden „Phrazes For The Young“ endet es. Wieder ein Meisterwerk!


Torsten Gross