Joni Mitchell

„The Asylum Albums (1976–1980)“ – Nur falscher Alarm

Asylum/Warner (VÖ: 21.6.)

Dekonstruktion und Jazz: Vier Alben aus Joni Mitchells wagemutigster Zeit.

Die Reise über die staubige Landstraße zu dem Wüstenhotel, auf der Flucht vor einem Liebhaber, hat Joni Mitchell einmal beschrie­ben. Es ist die Geschich­te des Songs „­Amelia“: „I was dri­v ing ­across the bur­ning de­sert/ When I spot­ted six jet planes/ Lea­ving six ­white va­por ­ trails ­across the ­bleak ter­rain/Like the he­xa­gram of the hea­vens/ Like the ­ strings of my gui­tar/ Amelia, it was just a ­false ­ alarm.“ Nachdem sie sich im Cactus Tree Motel den Staub abgewa­schen hat, überlegt sie am Ende des Songs: „May­be ­I’ve ne­ver real­ly ­loved/ I ­guess that is the ­truth/ I’ve spent my whole ­­ life in ­clouds at icy altitudes/ And loo­king down on eve­ry­thing/ I ­crashed into his arms.“

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Das Schicksal der Alleinflie­gerin Amelia Ear­hart, die 1937 über dem Pazifik ver­schwand, verschränkt Joni Mit­chell in „Hejira“ mit Al­bert Camus’ Tagebuchno­tiz, in der er das Erschau­ern durch die Berührung eines Fremden schildert. 1976 nahm Mitchell „He­jira“ auf – den Titel über­setzte sie mit „Flucht“, „Exodus“ (er geht auf die Hidschra, die Reise Mo­hammeds, zurück), und der Schwung des J gefiel ihrer bildnerischen Fantasie.

Außerdem gefiel ihr das Bass-Spiel von Jaco Pasto­rius, der mit Pat Me­the­ny und Paul Bley gespielt hatte. Eben war sein Debütalbum erschienen. So wie Joni Mit­chell für „­Court And ­Spark“ die Rock-Band L.A. Express verpflichtet hatte, setzte sie Jaco Pastorius’ melodische Basslinien anstelle der Gitar­re ein – Larry Carlton spielte nur wenige Licks. Pastorius spielte tatsächlich nur bei vier Songs, Max Ben­nett bei den anderen Stücken. Vier Jahrzehnte später sagte Joni Mitchell, dass viele Musiker „Chelsea Morning“ hätten schrei­ben können – nicht aber die Songs von „Hejira“.

Und es kam schlimmer

Die nächste Kehrtwen­de folgte 1977 mit „Don Juan’s Reck­less Daugh­ter“, das zwei Wünsche Mit­chells reflektierte: Sie wollte „eine von den Jungs“ sein. Und sie war fasziniert von schwar­zer Musik. ­Wayne Shorter spielt Saxofon auf diesem einstündigen Dop­pelalbum, dessen zweite Seite von dem 16‐minü­ti­gen „Paprika ­ Plains“ ein­genommen wird. Man war allgemein enttäuscht da­rü­ber, dass Mitchell keine deutbare Tagebuchpoesie geschrieben hatte, son­dern mystisch-religiöse Metaphern formulierte.

Und es kam schlimmer. Joni Mitchell bewunderte den Bassisten Charles Min­gus, der einige Komposi­tionen geschrieben hatte, die er – an ALS erkrankt – nicht mehr spielen konnte. Mitchell besuchte ihn 1978 in seiner Wohnung. Min­gus stellte sich vor, dass sie Texte zu den Stücken, die er für ein Orchester arran­gieren wollte, schrei­ben und singen sollte. Schließ­lich schrieb er vier Songs, Mitchell die Texte dazu. ­Wayne Shor­ter, Jaco Pas­to­rius, Her­bie Han­cock und Peter Ers­kine spielten die oft schroffen, schmucklosen Stücke, in denen Mitchells Stimme das entscheiden­de Instrument ist. Charles Mingus erlebte die Veröf­fentlichung von „Mingus“ im Jahr 1979 nicht mehr.

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Mitchell unternahm nun eine Tournee, aus der ein assoziativer Konzertfilm und eine Live-Platte wur­den: „Shadows And Light“ (1980). Neben Pastorius spielten Pat Me­the­ny, Lyle Mays (Keyboards) und Michael Bre­cker am Saxofon. Die Impressionen im Film Joni Mitchell zeigen Eiskunststücke von Toller Crans­ton (Olympia­dritter 1976), das Konzert Kunststücke von Pastori­us und Me­the­ny. Das Pro­gramm enthält Songs von „Hejira“, „Don Juan’s Reck­less Daugh­ter“ und „Min­gus“ – und am Ende, nach „Why Do Fools Fall In Love“ (Frankie Lymon & The Teen­agers, 1956), „Woodstock“ als Tribute an die Vergan­genheit, die erst seit zehn Jahren vergangen war. Vier Platten auf CD und Vinyl aus Joni Mitchells wa­gemutigster Zeit, neu abge­mischt von den analogen Bändern.