J. J. Abrams/Doug Dorst :: S. – Das Schiff des Theseus
Arno Schmidts Lebensprojekt, „Zettel’s Traum“, ist ein Paradebeispiel für die wenigen magischen Werke, in denen große Erzählkunst auf die unendlichen Gestaltungsmöglichkeiten des Mediums Buch stößt
Zu Schmidts zeitgenössischen Erben gehören neben Reif Larsen („Die Karte meiner Träume“) und Mark Z. Danielewski („Das Haus“, „Only Revolutions“) nun auch Drehbuchgenie („Lost“, „Felicity“) und Regisseur J. J. Abrams („Star Wars: Das Erwachen der Macht“) und dessen Koautor, Doug Dorst. In ihrem wahnwitzigen Romankunstwerk erzählen sie am Seitenrand sowie mthilfe von Servietten, Zeitungsausschnitten, Fotos, Karten und Briefen von der riskanten Suche zweier Studenten – nennen wir sie der Einfachheit halber Eric und Jen – nach der wahren Identität des fiktiven Autors V. M. Straka, der mit seinem Schlüsselroman „Das Schiff des Theseus“ sein Lebenswerk abgeschlossen haben soll.
Über den mysteriösen Verfasser von Werken wie „Das Wunder von Braxenholm“ und „Die Flügelschuhe des Emydio Alves“ gibt es kaum gesicherte Kenntnisse. Über 50 Jahre nach seinem Verschwinden werden hinter dem Künstlernamen ein Dutzend verschiedene Personen vermutet. Insofern ist Straka ein fiktionaler Wiedergänger des rätselhaften B. Traven. „Wir schreiben mit dem, was die vor uns geschrieben haben“, heißt es in dieser modernen Theseus-Erzählung, in der die antike Vorlage aufgegriffen und die Frage gestellt wird, ob ein Schiff, dessen Planken ausgetauscht werden, am Ende noch dasselbe Schiff ist. Durchgespielt wird dies an der abenteuerlich-abstrusen und lebensgefährlichen Odyssee durch die Vorhölle des Ersten Weltkriegs, auf die der seiner Erinnerungen beraubte Erzähler, S., gerät.
In dieser an Leo Perutz erinnernden Geschichte stoßen Eric und Jen nicht nur aufeinander, sondern auch auf einen zwischen den Zeilen versteckten Code, mit dem sie an bislang unbekannte Informationen gelangen. Zwischen ihnen geht ein Universitätsexemplar des Romans hin und her, in dem sie ihre Rechercheerkenntnisse austauschen und dabei sowohl einander als auch Strakas Geheimnis immer näher kommen. Der Leser hält nun dieses wunderbar abgegriffene und wild kommentierte Buch inklusive Beilagen in den Händen und wird lesend zum Mitwisser und Zeugen einer gefährlichen Verschwörung, die aus dem Roman ins echte Leben überspringt. „S. – Das Schiff des Theseus“ ist ein kühnes Meisterwerk der Buchdruck- und Erzählkunst, ein haptisches Kleinod der Literatur, das jede Erwartung übertrifft.