Hot Chip
„One Life Stand“
Um weiter zu kommen, muss man bisweilen ein Stück zurückgehen. Das neue Album von Hot Chip klingt nicht mehr nach der hemmungslosen Experimentierwut junger Brauseköpfe, sondern nach mutigem, hochemotionalem Pop. Am deutlichsten wird das im kommerziellsten Stück des Albums: „I Feel Better“ ist eine berührende Hymne an die Nacht, den Augenblick und die Liebe, gespielt im Sound von Inner City. In den späten Achtzigern veröffentlichte das Projekt des Detroiter Produzenten Kevin Saunderson Singles wie „Big Fun“ und „Good Life“. Das war House Music, die den kühlen Minimalismus des Techno vorwegnahm und gleichzeitig genug Pop-Hooks besaß, um auch ein Pop-Publikum zu verführen. Ein Rezept, das auch als Blaupause diente für die deutlich platteren Euphorien von Euro-Dance-Acts wie Torsten Fenslaus Culture Beat.
Die fünf Briten von Hot Chip spielen mit diesem Erbe – und werfen die Lust am Neuen und Ungehörten trotzdem nicht über Bord. „We Have Love“ setzt seinen bohrenden Sounds und dem treibenden House-Beat den von Album zu Album weicher und hymnischer werdenden Gesang von Alexis Taylor entgegen. Auch „Take It In“ kombiniert Klänge wie aus einem düsteren Science-Fiction-Film mit einer euphorisch optimistischen Melodie. Dass Charles Hayward von den legendären Avantgardisten This Heat an dem Album mitgewirkt hat, wirkt da nicht überraschend.
Hot Chip waren offensichtlich genervt von einer digitalen Dance-Music, die ihre behauptete Modernität nur noch mit technischen Gimmicks wie Autotune oder irritierenden Störgeräuschen belegt. Das bezaubernde „Slush“ dagegen klingt wie eine himmlische Doo-Wop-Ballade und handelt davon, dass es mehr geben muss als Fortschritt und Weitermachen: „Now that we’re older/ There’s more that we must do/ With songs we remember, remember my love is with you.“ Am Ende erklingen dazu Steeldrums, und die Band erreicht eine ungeheure Intensität und Leichtigkeit; der nächste Schritt konnte nur eine Zusammenarbeit mit Robert Wyatt sein – die demnächst tatsächlich als EP erscheint.
Hier geht es um die Rückeroberung des Emotionalen, das Wiedererlangen der Fähigkeit, „wir“ zu sagen, und die Erkenntnis, dass der sogenannte Fortschritt – egal ob in der Musik oder in der Computertechnologie – immer hinterfragt werden muss. Nichts gegen den Versuch, musikalisches Neuland zu erobern – so wie es auf dem gigantischen neuen Album von Pantha Du Prince geschieht. Doch Hot Chip wenden sich mit „One Life Stand“ zu Recht auch gegen eine Nerd-Kultur, die Behauptungen aufstellt und Erwartungen weckt, die dann leider nicht einlöst werden. „One Life Stand“ zelebriert den Gospel des Techno, die verbindende Kraft des House, den Soul einer aufrichtigen Popmusik. Mit weniger sollten wir uns nicht mehr zufrieden geben. (EMI)
Jürgen Ziemer