Guns N’ Roses
„Use Your Illusion I & II“ – Maßlose Meisterwerke
Universal (VÖ: 11.11.)
Keine Demos, viele Live-Tracks: Die Doppelalben bleiben Hardrock-Meilensteine.
Als die beiden Doppelalben „Use Your Illusion I & II“ im September 1991 erschienen, war das Jahr gelaufen. Es gab Menschen (die Autorin eingeschlossen), die monatelang nichts anderes mehr hörten, ja hören konnten, weil sie damit beschäftigt waren, diese 30 Songs zu durchdringen. Lange genug gewartet hatten wir ja, vier Jahre seit dem Debüt, „Appetite For Destruction“. Guns N’ Roses waren damit die größte Hardrockband der Dekade geworden, und „Use Your Illusion“ feierte diesen Status.
Die Kraft der Band ist beeindruckend
Axl Rose, Slash, Duff McKagan, Izzy Stradlin und die Hilfskräfte Matt Sorum und Dizzy Reed hatten ein Monster geschaffen, und sie wussten es. Nie war das Wort „maßlos“ so passend – die Songs dehnten sich in alle Richtungen aus, manche fanden kein Ende, vieles passte nicht zusammen, und doch möchte man fast nichts missen – nicht mal Songs wie „Back Off Bitch“, die man misogyn finden könnte, wenn man nicht das Gefühl hätte, dass Axl sich selbst viel mehr hasste als jede Frau, sogar seine Mutter.
Das psychedelische „The Garden“ (mit Alice Cooper), das wahnwitzig schnelle „Garden Of Eden“ und das clevere „Don’t Damn Me“ stehen gegen Traditionelleres wie „14 Years“ und „Yesterdays“ und Coverversionen („Live And Let Die“, „Knockin’ On Heaven’s Door“), dazwischen leuchten der unwiderstehliche Kracher „You Could Be Mine“ und das grandiose „Civil War“ auf. Und die Balladen! „Don’t Cry“, „November Rain“, „Estranged“: ein Tränenzieher-Trio sondergleichen. GN’R erlaubten sich Quatsch wie die Hasstirade „Get In The Ring“ und den Pseudo-Rap „My World“ – doch der beendete das zweite Album immerhin passend.
„You ain’t been mindfucked yet“, behauptete Axl Rose – dabei war ja gerade das passiert. Zwei Lieder werden ewig aus diesem faszinierenden Reigen herausragen: „Breakdown“, das mit mindestens drei lebenswichtigen Weisheiten aufwartet, und das zehnminütige, unfassbare „Coma“, das uns ins Jenseits und zurück führt. So war das damals, und was ist heute – in klassischer Guns-N’-Roses-Manier krumme 31 Jahre später? Die Original- Alben werden als 2‑LP oder CD-Edition remastered wiederveröffentlicht, in Deluxe-Versionen mit verschiedenen Live-Tracks, oder gemeinsam als 2‑CD-Deluxe-Edition – jeweils mit einer Besonderheit: „November Rain“ wurde durch eine neue „2022 Version“ ersetzt, mit einem 50-köpfigen Orchester, gemischt von Steven Wilson.
Wenn Größenwahnsinn so viel Freude macht, fehlen einem die Einwände
Erster Impuls: Frechheit! Man kann doch nicht ein Stück eines solchen Kunstwerks einfach austauschen! Aber ehrlich, man hört es kaum, also egal. Und wenn schon, dann braucht es sowieso die Super-Deluxe-Edition mit 7 CDs oder 12 LPs (je 77 Songs) plus Blu-ray (20 Songs). Präsentable Demos und Outtakes waren anscheinend nicht übrig, also gibt es neben einem 100-seitigen Fotobuch und Schnickschnack wie Poster und Backstage-Pass-Replika darauf zwei Auftritte zu hören (bzw. ersteren auch als Video): Guns N’ Roses live beim Aufwärm-Gig im New Yorker Ritz vom Mai 1991 – noch mit Izzy an der Gitarre, der kurz danach ausstieg – und in Las Vegas im Januar 1992, dann schon mit Gilby Clarke.
Die Kraft der Band ist in beiden Fällen beeindruckend, auch wenn Axl Rose in New York gleich mal zugibt, dass er sich immer vor Proben drückt. Humor und Selbsterkenntnis waren ihm damals noch gar nicht so fern. Der herzige Shannon Hoon kommt bei „Don’t Cry“ und „You Ain’t The First“ dazu. In Las Vegas spielen sie eine famose Version von „Civil War“ mit „Voodoo Child“- Versatzstücken. Die Deluxe-Version hat einen stolzen Preis: Mit CDs kostet sie ca. 270, mit Vinyl 490 Euro. Die Band weiß, was sie wert ist. Doch wenn Größenwahnsinn so viel Freude macht, fehlen einem die Einwände. Es war die beste, spannendste Zeit – und wäre danach nicht fast alles schiefgegangen, wüssten wir sie womöglich weniger zu schätzen.