Grateful Dead
Winterland 1973
Rhino Warner VÖ: 29.05.2009
Das im November ’70 vorgelegte Meisterwerk „American Beauty“ enthielt zehn Songs mit der gängigen LP-Spieldauer von knapp 43 Minuten, das ein halbes Jahr zuvor erschienene „Workingman’s Dead“ ganze acht Songs, bei denen man nach 36 Minuten die LP gleich wieder umdrehte, um sie von vorn zu spielen. Das war zwar nicht so ganz die Ökonomie, der sich John Fogerty bei seinen Kompositionen verpflichtet fühlte, aber Klasse demonstrierten Hunter/Garcia als Team schon bei diesem mal nicht so epischen Liedgut.
Tempi passati, meint der Autor der Liner Notes dieses „Winterland“-Sets. Heute höre man die Musik der Grateful Dead am besten in großen Zusammenhängen wie diese drei Konzerte vom zweiten Novemberwochenende 1973 mit neuneinhalb Stunden Musik. Er riskiert tatsächlich eine dicke Lippe und Ärger mit unverbrüchlichen Deadheads, wenn er konzediert, der Auftritt zuvor vor 600 000 Zuhörern in Watkins Glen sei so doll nicht gewesen und das voraufgegangene „Wake Of The Flood“, erstes Studioalbum auf dem eigenen Label, „nur“ eine sehr gute Grateful Dead-LP. Dafür seien sie dann wieder auf vertrautem Terrain bei diesen Winterland-Konzerten zu großer Form aufgelaufen.
Die stilistische Diversifikation- nach Garcias Flirt mit Bluegrass hatte die Band neuerdings gar Country-Klassik von Johnny Cash, Marty Robbins & Co. im Bühnenrepertoire- unterstreiche nur, mit welchem kreativen Schwung man an die Fortentwicklung der eigenen musikalischen Spannweite angegangen sei. Einer der beiden absoluten Höhepunkte dieser Konzerte ist für seine Begriffe, wie Kreutzman/Weir/Garcia sich mit ihrem Spiel bei „Big River“- an jedem der drei Abende musiziert – glatt für die Grand Ole Opry qualifiziert hätten.
Die Grateful Dead ausgerechnet mit solchen Verweisen gegen eine vermeintlich unbedarftere Konkurrenz zu verteidigen, ist schon ziemlich albern bis peinlich. Das klang ja echt nicht so übel, was Weir und Garcia da an ihren Gitarren aus der Johnny-Cash-Vorlage machten. Aber im Zweifelsfall verfügte da schon jeder bessere Session-Profi in Nashville problemlos über mindestens dieselbe Fingerfertigkeit. Wenn man bei diesen Konzerten eines bedauern konnte, dann dass die Band zwar obligatorisch auf Songs zurückgriff, bei denen sie garantiert mit rauschendem Applaus der Fans gleich bei den ersten Takten rechnen konnte, aber sich unerklärlich abstinent zeigte, was das Songmaterial von „American Beauty“ und „Workingman’s Dead“ angeht.
Weil sich Bob Weir nun mal für einen ganz außerordentlich begnadeten Interpreten von Chuck-Berry-Vorlagen hielt, begannen und endeten die mehrstündigen Sets auch da mehrfach mit solchen. „Playing In The Band“ uferte auch schon mal leicht verwirrt mäandernd aus. Und weil Weir sich viel auf seine „Weather Report Suite“ einbildete, wurde die jeden Abend zunehmend ausführlicher aufgeführt.
Als obligatorische Konzession an die Fans am Sonntagabend auch 35 Minuten lang „Dark Star“. Aber nur ein einziges Mal am Abend vorher das neueste und beste Garcia/Hunter-Werk von „Wake Of The Flood“, „Stella Blue“ in ganz inniger Interpretation. Nur nicht mit den ganz fabelhaften Country-Anklängen im Arrangement der Studiofassung! Dafür fehlten halt die Spezialisten an Pedal Steel und Violine auf der Bühne.
Angesichts der Tatsache, dass hier für digitales Prozessieren und Restaurieren keine Multitrack-Originale, sondern nur auf Nagra IV mit 19 cm/s aufgezeichnete Zweispur-Bänder zur Verfügung standen, ist die gebotene Klangqualität ganz ordentlich. Kleine aufzeichnungs- oder bandbedingte Mängel konnte man ausmerzen, an dem einmal beim Mitschnitt eingestellten Mix ließ sich nachträglich nichts verbessern. (Rhino)
Franz Schöler