Genesis

„BBC Broadcasts“

Universal (VÖ: 3.3.)

Liveaufnahmen aus allen Phasen ihrer Karriere

Was sagt ein Mann, der, mit 36 Jahren, am Ziel seiner Träume angekommen ist? „Ich bin der Chef, Mum.“ Phil Collins‘ Mutter saß unter den Zuschauern im Wembley-Stadion, Genesis feierten dort im Juli 1987 den Abschluss ihrer „Invisible Touch“-Tournee, mit vier Konzerten, vor insgesamt rund 360.000 Menschen – Rekord für Wembley. Glücklicher mit der Band, schrieb Collins in seinen Memoiren, würde er nie mehr sein.

Immer haarscharf an der Vollständigkeit vorbei

Den Auftritt gibt es seit längerem auf DVD, man kann Collins, Mike Rutherford und Tony Banks also ansehen – nur als Audioformat gab es Wembley bislang nicht. In der „BBC Broadcasts“-Box ist das Konzert nur mit zehn von 14 Songs vertreten. Keyboarder Banks, der die Edition zusammenstellte, Entschuldigung: kuratierte, wie man heute gewichtiger sagt, hat bei seiner Auswahl von diesen 53 von der BBC ausgestrahlten Live-Darbietungen hart durchgegriffen. Ähnlich hart wie Wembley hat es den Fan-Favoriten „Lyceum 1980“ getroffen, mit nur 15 von 20 Songs. Immer haarscharf an der Vollständigkeit vorbei. Für Komplettisten ein unerträgliches Gefühl.

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Wembley 1987 und das Londoner Lyceum, aber auch Wembley 1975 sowie Knebworth 1978 – nur vier Beispiele einer langen Liste von Wunschkonzerten, die auf eine Album-Veröffentlichung warten, in Gänze. Dass bis heute kein einziges Mega-Boxset eines Genesis-Studioalbums inklusive Auftritt herausgebracht wurde, macht ratlos. Vielleicht startet das Label mit Archivar Banks und diesen „Broadcasts“ einen Feldversuch: Könnten sich größere, vollständig einer spezifischen Periode gewidmete Reissues lohnen, falls dieses Set gut performt?

Zwei Drittel der Lieder bilden nur die Zeit mit Collins als Sänger ab

Solange Peter Gabriel lebt und nicht zu Genesis zurückkehrt (dabei feiert doch „The Lamb Lies Down on Broadway“ nächstes Jahr sein Fünfzigstes!), steht die Streitfrage im Raum: Collins oder er? Dass Frühwerkverfechter sich schon bei schneller Durchsicht dieser Tracklist ärgern, war absehbar. Zwei Drittel der Lieder bilden nur die Zeit mit Collins als Sänger ab. Bedacht werden sollte allerdings, dass Collins nun mal zwei Drittel der Zeit Sänger von Genesis gewesen ist. Gabriel verließ die Band 1975, war natürlich von grundlegender Bedeutung, Gitarrist Steve Hackett verließ die Band 1977, war zumindest bedeutsam. Die Entwicklung zum Stadion-Act, Kurve-nach-oben-Stationen wie Wembley oder Knebworth 1992 (mit sechs Stücken vertreten) hätte es mit Gabriel wohl nicht gegeben.

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Vieles gibt es also schon als Bewegtbild, aber immerhin 39 der 53 Lieder sind als Audio erstmals auf dem Markt. Und gerade, weil die Collins-Superstarphase zuvor schon gut ausgeleuchtet wurde, zählen die Peter-Gabriel-Stücke, die Progrock-Songs, zu den Höhepunkten der Edition.

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Die Magie des Ex-Genesis-Sängers Gabriel bestand darin, dass er trotz aller Exzentrik wenig Bewusstsein dafür hatte, dass auch in ihm ein Superstar steckt, und der erst Solo und viel später, 1986 mit „So“, zum Vorschein kommen würde. Die BBC-Stücke ab 1970 sind einladend, gerade wei Gabriel sie tastend, intoniert unsicher. Bei „Shepherd“ (zuvor im „Genesis Archive 1967-1975“ veröffentlicht) übernimmt Banks den Co-Gesang, da hat ihn wohl unvermutete Eitelkeit gepackt – das Lied eröffnet hier gar den Song-Reigen. Das sakral anmutende „Pacidy“ entstammt ebenso einer Session für die Radiosendung „Nightride“ und schaffte es 1970 genauso wenig auf das zweite Genesis-Album „Trespass“.

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Braucht es in diesem Set wirklich zwei „Drum Duets“? Ja, schon. Braucht es wirklich zwei Songs mit Ray Wilson als Sänger? Nun, Tony Banks ist ein Gentleman, wenn auch stiff upper lip, und er hat Frieden mit diesem Teil der Band-Geschichte geschlossen. Außerdem hat er Peter Gabriel neun Songs mehr gegeben.