Fieberhaftes Manifest der Selbstzerstörung: Nine Inch Nails – The Downward Spiral
Nothing/Interscope
When Trent Reznor painted his masterpiece. Vor 20 Jahren erschien „The Downward Spiral“ von Nine Inch Nails.
Es war eine einzige Dystopie, ein fieberhaftes Manifest der Selbstzerstörung, das Trent Reznor 1994 auf die Welt losließ: ein konsequent an der Grenze zur Selbstauslöschung durchexerzierter Albtraum, der auch nach zwanzig Jahren nichts von seiner Dringlichkeit, von seinem Wahn und seinem Schmerz verloren hat. Gefangen zwischen Selbsthass, totaler Befremdung, Depression und wahngeschwängerten Metamorphosen schuf Trent Reznor in Form von vierzehn Tracks sein unerreichtes Meisterwerk, eines der wegweisenden Alben der jüngeren Rock-Musik. Klangcollagen, paranoide Dynamiken, bedrohliche elektronische Szenarien und Polyrhythmik – „The Downward Spiral“ ist eine einzige Hetzjagd durch jene Territorien der menschlichen Psyche, die man normalerweise so weit wie möglich meidet. Reznor ging damals mittendurch – und daran fast zugrunde.
Es gibt keinen Gott auf „The Downward Spiral“, aber es gibt definitiv eine Hölle. Und auch wenn es in „Heresy“ heißt: „Your God is dead and no one cares / If there is a hell I will see you there“ ist der Protagonist in Wirklichkeit schon längst dort angekommen, und wir mit ihm. „Es hat sich so angefühlt, als hätte ich bodenloses Fass mit Wut und Selbsthass in mir, und musste es irgendwie herausfordern, oder ich würde explodieren“, erzählte Reznor dem „Guardian“ über die persönlichen Dämonen, die ihn zu der Zeit plagten. „Ich dachte, ich würde damit durchkommen, dass ich einfach alles in meine Musik stecke, meine Gefühle aus meinen Eingeweiden herausschreie, aber nach einer Zeit half das nichts mehr, und andere Dinge übernahmen – Drogen und Alkohol“.
Musikalisch agiert Reznor auf „The Downward Spiral“ oft collagenhaft, setzt uns Übersteuerungen und Störgeräuschen aus. Weißes Rauschen trifft auf Gitarrenfragmente, Verzerrungen, Schreie; Mollkadenzen und dissonante Soundsphären treiben durch das Album. Als würde er seine Melodiehaftigkeit in Extremen und Geräuschen ertränken wollen, schichtet Reznor Noise-Kulissen und Rhythmuswechsel übereinander, baut den Kern – die definitiv vorhandene Songhaftigkeit – in die Verfremdung aus. Burroughs-artige Szenarien der Verfremdung und Befremdlichkeit entstehen und vermengen sich mit dem Songkern und begleiten uns auf den Weg durch das Fegefeuer, irgendwo zwischen Industrial, Rock und großen, geräuschbesoffenen Popsongs.
Wie schon beim Debüt der Nine Inch Nails mietete sich Reznor in einem kalifornischen Haus mit der Adresse 10050 Cielo Drive ein, besser bekannt als das „Tate-Haus“, wo am 9. August 1969 die „Tate/La Bianca“-Morde“ der Charles-Manson-Family den „Summer of Love“ schlagartig beendeten. „Le Pig“ nannte er sein Studio, weil Susan Atkins, die an den Morden beteiligt war, mit dem Blut der ermordeten Schauspielerin Sharon Tate das Wort „Pig“ mit Blut an die Wände geschrieben hatte. Auch spiegelt sich die scheinbare Obsession mit diesem Wort in zwei Songtitel von „Downward Spiral“ wider, „Piggy“ und „March Of The Pigs“. In einem Interview mit dem ROLLING STONE erzählte Reznor 1997 von einem Zusammentreffen mit der Schwester von Sharon Tate; „ […] Sie sagte: ‚Beutest du den Tod meiner Schwester aus, indem du in ihrem Haus lebst?‘. Zum ersten Mal kam mir das wie ein Schlag ins Gesicht vor. Ich sagte, ‚Nein, es ist nur eine Art meines eigenen Interesses in amerikanische Folklore. Ich bin an diesem Ort, wo ein eigenartiger Teil amerikanischer Geschichte passierte‘. Nach diesem Treffen brach Reznor in Tränen aus, kurz darauf zog er aus.
„Pretty Hate Machine“ hieß das Vorgängeralbum, aber an dieser Hassmaschine hier war nichts mehr pretty. Auch wenn das Album von der ersten bis zur letzten Sekunde als Gesamtkunstwerk dasteht: Von diesem Höllenritt werden wohl zwei Songs an der vorderen Front der Erinnerungen blieben. „Closer“ machte Reznor zum, wenn auch sprachlich editierten, MTV-Superstar, „Hurt“ kam wiederum erst acht Jahre später an seinen Platz im „Tower of Song“: 2002 zementierte ein in seiner populärkulturellen Relevanz rehabilitierter Johnny Cash mit seiner Version des Songs sein Alterswerk auf nahezu alttestamentarische Weise ein, die „Crown of Shit“ selbstredend zur Dornenkrone ändernd.
Drogenabhängigkeit, Depressionen, Selbsthass, Dämonen: Trent Reznor scheint sie im Laufe der Zeit losgeworden, in den Griff bekommen zu haben, die Sucht mit Hilfe von David Bowie. Auch rein optisch ist vom blassen, dünnen Mann in Schwarz wenig übrig geblieben. Braungebrannt und Fitnesscenter-gestählt zeigte sich Reznor in den letzten Jahren, er heiratete, wurde Vater und hat mittlerweile auch einen Oscar für den Soundtrack zum David-Fincher-Film „The Social Network“ zuhause stehen. Auf „Hesitation Marks“, dem letzten Nine-Inch-Nails-Album (eine Zeitlang legte Reznor das Projekt auf Eis) machte sich über weite Stellen eine Zuversicht, oft gar ein Augenzwinkern breit. Vielerorts bezeichnete man die Platte gar als „Upward Spiral“. Good for him. Auch wenn nicht jedes Folgealbum ein Volltreffer war, seine Relevanz und Integrität verlor Reznor nie.
„The Downward Spiral“ wird wohl dennoch auf alle Zeiten sein Meisterwerk bleiben: Ein atemberaubenderes, beklemmenderes, wahrhaftigeres Album wird man lange suchen müssen.