Father John Misty
God’s Favorite Customer
Ein Jahr nach „Pure Comedy“ stimmt Josh Tillman eine lange, majestätische und etwas müde Westcoast-Rock-Ballade an
Irgendein Depp mit zu wenig Selbstbewusstsein hat die Krone für den besten Americana-Songschreiber weggeworfen, an irgendeinem staubigen Highway in der Mojave-Wüste. Joshua Tillman, kein Feind pompöser Gesten, fand sie wieder, krönte sich selbst, verlieh sich den Titel Father John Misty und residiert seither in Los Angeles. Von seinem Thron aus überblickt er das bunte Treiben im schizophrenen Land, das wie zum Hohn das Wort „united“ im Namen trägt.
Aber ach, das Herrschen in einsamen Höhen ist so ermüdend! „Exquisitely bored in California“, sang Pete Townshend schon 1982. Tillman blies das Bonmot zum nationalen Lagebericht auf: 2015 erschien seine Springsteen-Verballhornung „Bored In The USA“, eine gespreizte, balladeske Bestandsaufnahme von philosophischem Ausmaß, die Misty auf seinem letztjährigen Opus, „Pure Comedy“, noch ein paarmal so grandios variierte und mit neuen Textfluten füllte, dass beinahe gar nicht aufgefallen wäre, dass es sich um den immer gleichen Song handelt. Auf „God’s Favorite Customer“ fällt es auf. Der König steht still. Kein Ausweg, nirgends. Alles macht weiter. Die Apathie des Westens. Der Hedonismus. Der Infantilismus. Religiöse Verblendung und Konsumgeilheit. Der Ausverkauf der Politik und die moralische Heuchelei. Das große Geld und die kleinen Leute.
Father John Misty wartet darauf, entthront zu werden
Tillman seziert das alles genüsslich an sich selbst. Das reizt, provoziert, verführt. Noch einmal stimmt er sein ätzendes Klagelied an, diesmal nach oben gerichtet, gen Himmel. Wer sonst könnte ihn noch erhören? „All I need is a new friend/ I’m only five blocks away/ Speak to me/ Won’t you speak, sweet angel?/ Don’t you remember me?/ I was God’s favorite customer“, croont er im lennonesken Titelstück. Und er führt Zwiegespräche mit „Mr. Tillman“ („I’m feeling so fine, I’m living on a cloud above an island in my mind“) und dem Schwerenöter im weihevoll fatalistischen Beziehungsstück „Dumb Enough To Try“. Wo die Sonne im Pazifik versinkt, ist auch die Liebe nur noch ein Abgesang.
Die finale Westcoast-Elegie heißt hier „We’re Only People (And There’s Not Much Anyone Can Do About That)“. Der König bestellt noch ein Fass Melancholie, um nicht den Verstand zu verlieren. Vielleicht auch nur, um die Nacht rumzukriegen. Nichts vermag ihn noch zu überraschen. Sein Mojo is gone. Father John Misty wartet darauf, dass ihn jemand entthront. (Bella Union/PIAS)