Ethan Johns

Silver Liner

Caroline

Der Produzent als Solokünstler mit wunderbarer Americana

Er hat sich nie als klassischen Produzenten verstanden. Er war einfach dabei, um Dinge zu ermöglichen: für Ryan Adams, Laura MarlingPaul McCartney etc. pp. Endlich auf der anderen Studioseite angekommen erachtet Ethan Johns es jedenfalls für notwendig, Kontrolle abzugeben: An Papa Glyn, der vor drei Jahren „If Not Now, Then When?“ mixte; an Adams, der zuletzt den Akustikrohbau der Konzeptfiktion „The Reckoning“ vollendete.

Für sein drittes Soloalbum hat Johns die Versuchsanordnung erneut geändert. Zehn Studiotage, 16 Spuren, eine Band mit Bassist Nick Pini, Drummer Jeremy Stacey (der dann abmischen durfte) und – ta-dah! – der britischen Pedal-Steel-Legende B. J. Cole. Mittendrin setzt sich Johns auch mal solo ans Klavier, tastend im Wortsinn, um einer „sweet lady of the darkness“ zu sanftem Streicherschwung „It Won’t Always Be That Way“ zu versprechen.

„Silver Liner“ ist ein Album, das nicht wissen muss, wo Americana anfängt und wo Britfolk aufhört. Es sei denn, Nick Drake sitzt Johns direkt auf der Schulter und flüstert ihm „fleeting beauty, time is grief“ ein, im exquisiten „Dark Fire“. Den transatlantischen Brückenschlag „The Sun Hardly Rises“ versieht Cole mit glühendem Country-Touch. Bevor die Ode auf die arme „Juanita“ weiter Richtung Border zieht, wo Gillian Welch und Bernie Leadon warten. „Open Your Window“ ist aus der Zeit gefallener, zunehmend entgrenzter Folkrock eines ratlosen, aber nicht verbiesterten Kultur­pessimisten. Wurde die Parole „It’s party time!“ je verächtlicher ausgegeben? Seinem Unbehagen an der Moderne wirft Johns sonst einfach aus der Küche ein fröhliches „I Don’t Mind“ entgegen, so als hätte Mutti gerade noch einmal Schoko­kuchen serviert.

Schließlich finden im erlösten „I’m Coming Home“ Gesangslinie und Fingerpicking-Motiv zusammen wie zwei Menschen, die einander lange fehlten und sich nun gegenseitig wieder ertasten. Spätestens da ist die unglückliche Neil-Young-Mimikry des Titelsongs zum Auftakt vergessen.

(Jörg Feyer, ROLLING STONE 12/2015)