Erasure – Nightbird :: Mehr Schwulst geht nicht: Klebrige Sahnebonbons für die Ohren
Pop, sagte Peter Bück zum vorgeblich ranschmeißelnden „Out Of Time“, sei für ihn nie ein schmutziges Wort gewesen. Der R.E.M.-Musikologe wollte ’91 der Generation X den Horizont erweitern. Dur und Moll müssen ja nicht mit verzweifelter Urgewalt über die Hörer herfallen, um authentisch zu sein. Posern wie Andy Bell und Vince Clark wollte er aber kaum den Arm um die Schultern legen.
Das britische Dance-Pop-Duo darf nach 20 Jahren Karriere zwar auf zehn Top-10-Alben und 29 Hit-Singles in lückenloser Folge zurückblicken, aber nicht wenige Tanzhallen-Besucher blieben bei „Chains Of Love“, „A Little Respect“ oder „Blue Savannah“ schon aus ziemlich prinzipiellen Erwägungen mit beharrlich übergeschlagenen Beinen sitzen: allzu viel Tragik-Travestie, zu aufdringliches Rhythmus-Gestampfe und zu greller Tucken-Chic. Allenfalls unter dem Tisch wippte mancher Fuß verräterisch.
Zum ersten Studioalbum seit vier Jahren fahrt die Plattenfirma nun inflationär positiv aufgeladene Begriffe auf. Glücklich und munter, entspannt und optimistisch klängen die neuen Songs und strotzten nur so vor Energie und Lebensfreude. Niemals habe er sich wohler gefühlt, erklärte Bell bei der Ankündigung der Frühjahrstournee – und gab zugleich bekannt, seit sechs Jahren HlV-positiv zu sein. Darf man hier anmerken, dass kleine Jungs oft die schwungvollsten Melodien pfeifen, sobald im Wald die Dämmerung anbricht? Das trotzige Trotzdem: Es ist bewundernswert und geradezu unüberhörbar bei diesen elf Nummern. Erasure lassen die ältlichen Keyboard-Sounds blubbern und die Fanfaren jubilieren, als gäbe es den finalen Countdown nicht. Und Andy geckert so lockend-verführerisch, als seien die Lebensentwürfe der Party-Society in den 80ern gar nicht kollabiert.
Milde angesichts der persönlichen Tragik ist dennoch nicht angezeigt: Es wäre die perfideste Art der diskriminierenden Ausgrenzung. Deswegen sagen wir: Das sind klebrige Sahnebonbons für die Ohren, das ist redundanter pompöser Schwulst und gestriger Tanz-Bombast für desensibilisierte Trommelfelle. Ob das böse Zeit-Phänomen, dass aber auch wirklich jede Geschmacksverirrung nach spätestens zwei Jahrzehnten Kult und Oliver-Geissen-tauglich wird, wohl noch aufzuhalten ist?