Elvis Costello
National Ransom
Universal VÖ: 22. Oktober 2010
Wir hatten uns daran gewöhnen müssen, dass auch der einst Unfehlbare zum musikalischen Sonntagsfahrer geworden ist. Was aber auch heißt, dass Elvis Costello noch immer zu allem fähig und in der Lage ist. Nachdem „Secret, Profane & Sugarcane“, die ersehnte Zusammenarbeit mit T Bone Burnett, im letzten Jahr eine gelinde Enttäuschung war, mussten die Erwartungen an „National Ransom“ gedimmt werden. Doch diesmal gehen der Meister und seine Musiker so konzentriert wie raffiniert zu Werke: „National Ransom“ schmiert ordentlich mit Orgel und aufgekratzten elektrischen Gitarren wie circa 1986, „Jimmy Standing In The Rain“ ist ein fabelhaftes New-Orleans-Kammerstück mit nostalgischer Jug-Band und Streichern, und die mit Bravado vorgetragene Ballade „Stations Of The Cross“ könnte ebenso „Imperial Bedroom“ entstammen wie den „Juliet Letters“. Und „Slow Drag With Josephine“ spielt die Band lustig und pizzikat als geschrummtes Intermezzo mit Banjo und Streichersatz.
Schon in den ersten vier Liedern ist Costello also listiger, variabler und brillanter als etwa der Burnett-Klient John Mellencamp, der ungefähr zwei musikalische Ideen hat. Aber seine Kunstfertigkeit und Grandezza führten Costello auch schon an den Abgrund der Künstlichkeit, ja des Kitsches. Er ist der große Manierist der Popmusik mit einem enzyklopädischen Elefantengehirn und einem Formenkatalog, der bis in feinste Verästelungen der Klassik, des Jazz und der Experimentalmusik reicht. Allein, niemand will hören, was Costello alles kann – denn der einfachste Costello ist meistens der beste.
Anlässlich von „National Ransom“ muss man diese Theorie allerdings noch einmal überdenken. Diese Tour de force der Stile, dieses Museum amerikanischer Formen, gefiltert durch europäisches Bewusstsein, vereint Gershwin mit Rock’n’Roll und Sinatra mit Kammermusik. Herrlich, wie das pompös pulsierende, fast orchestrale „Church Underground“ in das ganz zarte, schwelgerische „You Hung The Moon“ übergeht, wie Bläser und Streicher niemals „Swing!“ schreien, sondern im Hintergrund subtil illustrieren. Wunderbar, wie er bei „All These Strangers“ zu Slide Guitar und Streichern schmalzt!
Vor allem als Balladensänger ist Elvis Costello ganz auf der Höhe seiner Sujets. Wie stets jagt er den Hörer durch das Labyrinth seiner Lyrik, die manchmal den Gedanken nahelegt, er habe einige Vokabeln spontan der englischen Sprache hinzugefügt. Den Songs nachgestellt hat er Jahreszahlen und Ortsbezeichnungen wie „A drawing room in Pimlico, London, 1919“, was bei jedem anderen Künstler der Gipfel des Prätentiösen wäre. Aus dem Genre der zuletzt häufig belehnten Country Music schöpft Costello „I Lost You“, eine sehr direkte Angelegenheit („On the road to Cain’s Ballroom, Tulsa, 2009“), das etwas schwerfällig-pomadige „That’s Not The Part Of Him She’s Leaving“ und den deftigen Shuffle „My Lovely Jezebel“, der von der Ladefläche des „King Of America“ gefallen sein könnte.
Allenfalls hat Elvis Costello den Spannungsbogen mit 16 nicht kurzen Stücken ein wenig überdehnt. Aber wahrscheinlich wird man sich auch an Fingerübungen wie das sperrige „One Bell Ringing“ (Londoner U-Bahn, 2005) gewöhnen. Wie vor ihm Dylan beglaubigt Costello, dass es ein Jenseits der Rockmusik gibt – ohne Rockmusik.