Eliza Carthy – Heat, Light & Sound :: Topic / Indigo
Grazie und Virtuosität, Humor, Lust, Pein, Tragik, Koketterie und Wagemut, individualistische Traditionspflege und mitreißende musikalische Phantasie: Wo sonst noch bekommt man all das und mehr auf einem einzigen Album geboten? Dabei ist es lediglich die Kraft der Interpretation, die in den immer seltener heimgesuchten Gefilden der englischen (wie jeder anderen) traditionellen Folk-Musik einen Unterschied macht zwischen going through the motions und großer Kunst.
Letzterer nähert sich die eben erst dem Teen-Age entwachsene Eliza Carthy, Tochter veritabler Folk-Institutionen, mit gewaltigen Schritten. Erreicht hatte sie dieses Ziel bereits vor zwei Jahren, doch damals noch am Rockzipfel ihrer Eltern Norma Waterson und Martin Carthy, auf einem so atemberaubend brillanten Album, daß es die vorangegangenen 20 Jahre Ödnis in Folk-England mit einem Schlag vergessen machte. „Waterson : Carthy“ hieß das Wunderwerk, von dem sich nicht wenige ein Revival erhofften, das allerdings ausblieb. Nicht zuletzt, weil man Eliza flugs zur Lichtgestalt deklarierte und zur Hoffhungsträgerin für ein ganzes Musik-Genre. Zuviel Gewicht für diese schmalen Schultern, und da Eliza ein kluges Mädchen ist und keine Lust hatte, Joan Of Are zu spielen, schlug sie die Nominierung zur Retterin der Nation aus. Statt dessen musizierte sie weiter mir ihrer Freundin Nancy Kerr, frank und frei und weitgehend unbelastet von übertriebenen Erwartungen.
„Heat, Light & Sound“ hat sie nun zurückgestoßen ins ungeliebte Rampenlicht der Folk-Öffentlichkeit. Und sie wird sich daran gewöhnen müssen, denn sie hat Fortschritte gemacht, an der Fiddle sowieso, aber auch als Sängerin. Noch sind die Vergleiche mit einer June Tabor ungerecht, doch singt Eliza schon jetzt mit einer Anmut und Sicherheit, die immerhin zu schönen Hoffnungen Anlaß geben.
„Cold, Wet & Rainy Night“ kennt man bereits von Planxty, unter dem Titel „Cold Blow And The Rainy Night“ und von den Iren mit einer anderen, robusteren Melodie ausgestattet. Elizas Version ist beschwingter, leichter, luftiger. Dasselbe gilt, leider, auch für ihre Fassung des amerikanischen Traditionals „Blind Fiddler“, an dessen tieftraurige Resignation Eliza nur rührt, ohne sie auch nur annähernd so auszuloten wie Hoyt Axton, dem wir die ultimative Interpretation verdanken.
Anderswo ist sie souveräner, vor allem da, wo ihre gesanglichen Fähigkeiten mehr gefordert werden, etwa bei der Mordballade „Sheath & Knife“ oder der noch blutgetränkteren Geschichte von „Clark Saunders“, die sie von ihrem Dad gelernt hat und wie er unbegleitet vorträgt, als musikalisches Purgatorium.
Nicht alle Tracks haben indes eine so bodenlose Tiefe, vieles ist einfach nur tanzbar oder genügt anderen profanen Bedürfnissen: Fiddle Times hauptsächlich, im Walzertakt oder in rasanten Wirbeln. Dazu zwei eigene Songs, zwei tapfere Originale, die inmitten der anderen, Generationen alten Folk-Lieder nicht verlieren. Kein geringes Verdienst, fürwahr.
English Folk Music hat also eine Zukunft. Sie heißt Eliza Carthy.