Depeche Mode
Playing The Angel
Mute (EMI)
Die Briten legen einen Schlag zu, bewahren sich aber ihre Lust am Leiden
Ach, wenn Leiden doch immer so schön wäre. Wenn man dabei nur so gut aussehen könnte wie Dave Gahan und so cool klingen. Die ersten Zeilen des neuen Albums: „I’m not sure what I’m looking for anymore/ I just know that I’m harder to console/ I don’t see who I’m trying to be instead of me/ But the key is a question of control.“ Der Song heißt „A Pain That I’m Used To“ und hat schon alles, was Depeche Mode ausmacht: einen Text über Schmerzen und Seele und Dämonen und Träume. Eine Melodie, die sich ganz hinterlistig ins Gehirn gräbt. Gesang, der ans Herz geht. Aber er ist – anders als etliche Lieder auf „Playing The Angel“ nicht zu lang, sondern genau auf den Punkt.
Man kennt das ja bei Depeche Mode: Sie frickeln gern rum, die Synthesizer entwickeln ein Eigenleben – und am Ende kommen meistens ein, zwei Minuten voller Geklötter und Gedöns, das keiner braucht. Aber davor!
„John The Revelator“ basiert auf einem Gospel-Thema, was erstaunlich gut zu Depeche Mode paßt: Im Grunde seines Herzens war Martin Gore immer ein Blues-Mann, er schreibt ja auch nur über archaische Themen: Glaube. Liebe. Tod.
Zwei Songs singt er diesmal selbst, es sind natürlich seine Lieblingsstücke: „Macro“, ein fast psychedelisches Breitwand-Epos mit irritierend weit nach vorn gemischtem Gesang, und „Damaged People“, dessen unwiderstehliche Melodie in der Erkenntnis gipfelt, daß es allgemein keine Hoffnung gibt, in der Nähe aber vielleicht doch: „When I feel the warmth/ Of your very soul/ 1 forget I’m cold/ And crying.“ Oder dying, wer weiß das schon. Noch ein typischer Gore also. Lassen Sie sich von der eher schwachen, ein bißchen zu süßen Single „Precious“ nicht täuschen: Das ist hier kein Elektro-Kitsch, es geht wieder ums Ganze. Depeche Mode ringen immer noch um den großen Wurf, Zurücklehnen ist nicht ihr Ding. Und nun werfen sie – anders als noch bei „Exciter“ – auch weder wuchtige Melodien aus, nicht nur kleine Kunststücke.
Drei Songs durfte bekanntermaßen Dave Gahan schreiben; sie fügen sich nahtlos ein: „Suffer Well“ und „I Want It All“ sind ein wenig straighter als Gores Mini-Opern, bewegen sich aber im selben Kosmos von Wunden und Wünschen; das hypnotischrepetitive „Nothing’s Impossible“ hat durchaus das Zeug zum Hit.
Im Stampfer „Lilian“ singt Gahan etwas, das genau auf seine Band zutrifft: „Once I begun/ I couldn’t stop/ ‚Til every drop of blood was sung.“ Durch all die Technik hört man bei Depeche Mode immer das Leben. Deshalb sind sie noch aktuell, auch nach 25 Jahren, und sie werden so bald nicht verschwinden. Es gibt noch genug Blut, das besungen werden kann.