Schon wieder ein neues Album von David Lynch! Dabei ist der 67-jährige Surrealist ja eigentlich Regisseur – auch wenn sein letzter Kinofilm „Inland Empire“ bereits sieben Jahre zurückliegt (und ein ziemlicher Flop war). Ist „The Big Dream“ also eine Art Prokrastination? Meint: das Aufschieben einer wichtigen Sache durch etwas, das einem bedeutend leichter fällt. Die Antwort kann uns egal sein. Denn Lynch watet auch hier wieder mit paranoidem Blick durch die Sumpflandschaft des Blues, den er sich ebenso selbstverständlich aneignet wie früher die Hügel und Villen am Mulholland Drive.

„The Big Dream“ ist dabei deutlich entspannter und weniger aufgekratzt als der Vorgänger „Crazy Clown Time“, der erst vor eineinhalb Jahren erschien. Einige neue Songs wie „The Line It Curves“ würden einen großartigen Soundtrack für Lynchs eigene Filme abgeben: Entfremdung, Angst, Kontrollverlust sind ebenso greifbar wie das traumwandlerische Gespür für eine bizarre Form von Schönheit. Ja, fast ein wenig zu schön sind die Songs, um wirklich als Blues durchzugehen. Aber Authentizität erwartet hier hoffentlich niemand, zumal alle Stücke von Lynch stammen – bis auf eine dunkel dräuende Coverversion von Bob Dylans „The Ballad of Hollis Brown“.

Nach wie vor berührend ist auch diese seltsam quäkende (Nicht-)Stimme: wie ein kleines Kälbchen, das nach seiner Mutter schreit. Aber ist wirklich alles so, wie es scheint? Wird der weltbekannte, hochgeehrte Regisseur im nächsten Song zu weinen beginnen – oder blitzartig eine Axt unter seinem Stuhl hervorziehen? Die Antwort bleibt immer offen. Und über allem schwebt der unendliche Hall von Lynchs Gitarre.

Stücke wie das sphärische „Are You Sure“ sollte man unbedingt auf langen nächtlichen Autofahrten hören. Müde, aber entspannt. Hey, war das jetzt die richtige Abfahrt? Keine Ahnung, wo sind wir überhaupt? Und dann steht plötzlich ein verkrüppelter Zwerg auf der Fahrbahn. Ein großartiger, wunderbar beklemmender Traum – nicht nur für die Freunde von David Lynchs Kino.