David Bowie

Earthling

Mit seinen Jungle-Rhythmen war David Bowie einen Tick zu spät – aber das Material auf „Earthling“ war stark genug.

David Bowie blickt auf saftige britische Wiesen hinab, die grünen Landschaften Englands liegen zur Eroberung bereit. Er hat die Arme überkreuzt, er ist ein General, der uns den Rücken zugekehrt hat. Seinen zerrissenen Armee-Mantel ziert der Union Jack. Der Staat gehört ihm.

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Als „Earthling“ im Februar 1997 erschien, war Cool Britannia noch immer eine Ansage: Trainspotting, Tony Blair, Oasis, die Spice Girls, Blur … zumindest Europa war fest im Griff des Vereinten Königreichs. Aber Bowie, schon in den 90er Jahren längst eine Art Kulturschatz Großbritanniens, hatte sich für Britpop nicht interessiert. Er war fasziniert von Drum’n‘ Bass und Jungle, das ebenfalls auf der Insel groß wurde. House-Rhythmen, die derart hektisch und vertrackt sind, dass deren Schöpfern, meist DJs, eine nicht zu unterschätzende Errungenschaft gebührt: Jeder, der ihren Jungle hörte, konnte, nein: musste so tanzen, wie er wollte. Freiheit.

Bowie bot den ersten Download an

So, wie Bowie 1977 für „Low“ schon den Punk-Trend ausließ und sich stattdessen der elektronischen Musik nährte, hatte er hier eine Entscheidung getroffen zwischen zwei Möglichkeiten, Jungle und Britpop. Nur: Drum’n’Bass war 1997 längst durch. David Bowie hinkte mit „Earthling“ und im Alter von 50 Jahren erstmals einer musikalischen Entwicklung hinterher. Mit „Timeless“ hatte Goldie eineinhalb Jahre zuvor schon das letzte Wort gesprochen. Bowie ging immerhin schon im März 1996 ins Studio, brauchte dann aber fast ein Jahr bis zur Veröffentlichung des Materials.

Heute klingt der Stil schrecklich gealtert. Mit dem Breakbeat von „Telling Lies“ konnte Bowie dafür 1996 schon den ersten Download vorstellen, den ein Major-Künstler auf seiner Website anbot. Er liebte das Internet von Anfang an.

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Vor 20 Jahren fielen die Besprechungen von „Earthling“ eher durchschnittlich aus. Inzwischen nähert man sich der Platte belustigt an, falls überhaupt jemand darüber spricht. Das wird „Earthling“, so altmodisch es aus heutiger Sicht arrangiert ist, aber auch nicht gerecht. Hinter den verspielten Beats verbergen sich Melodien, die, begradigt, verlangsamt oder sonstwie entschlackt, gutes Material sind. Die Vorabsingle „Little Wonder“ ist, mit seiner davonhuschenden, jauchzenden Melodie, verteilt auf sechseinhalb Minuten Jungle, ein kleines Wunder an sich.

„Looking For Satellites“, Bowies immerwährende Suche nach außerirdischem Leben, findet seine entsprechende Würdigung in Seufzern, die sich zu Schreien steigern – lediglich Reeves Gabrels mit seinen endlos quietschenden Gitarrensoli erhält hier wieder einen viel zu großen Raum, den Bowie-Fans nie verlangt hätten. Auf dem Nachfolge-Werk „‘Hours …‘“ von 1999 würde Gabrels sein Instrument noch mehr quälen; und Bowie kehrte darauf zum eher gradlinigen Pop zurück.

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Mit „Seven Years In Tibet“ und „Dead Man Walking“ (das er zusätzlich, auf dem Höhepunkt der „Free Tibet“-Bewegung, in Mandarin aufnahm) griff der Sänger auf „Earthling“ auch zwei Kinothemen auf, die Mitte der Neunziger groß waren, Jean-Jaques Annauds Reisebuch-Verfilmung von Heinrich Harrers (Brad Pitt) Treffen mit dem Dalai Lama; sowie Tim Robbins‘ Anti-Todesstrafen-Film mit Sean Penn und Susan Sarandon in den Hauptrollen.

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Willkommen, Tao Jones

Einer ganzen Musikrichtung verschreiben, sich nahezu auf Gedeih und Verderb einem Genre ausliefern, würde Bowie sich danach nicht mehr. Sein finales Werk „Blackstar“ (2016), das noch am ehesten als späte „experimentelle“ Platte gilt, erschien geschlossen, majestätisch – war aber  nicht mutiger.

In der Live-Umsetzung von „Earthling“ setzte Bowie weiter auf die Jungle-Rhythmen, die sein Schlagzeuger Zachary Alford mit echtem Drumming unterstützte. Die Tour begann, solche Orte bespielte der Musiker damals, am Flughafen Blankensee in Lübeck, und einige Konzerte verliefen auch unter dem Namen Tao Jones Index. Bowie entwarf also wieder, wenn auch zaghaft, eine Bühnenpersönlichkeit. Mit den grellen, fast neonfarbenen Anzügen, seinen Fritt-farbenen Haaren und dem Ziegenbart schuf er eine Figur, die vielleicht nicht den Wiedererkennungswert des Thin White Duke hatte. Aber er wirkte so schrill und „clubinfiziert“ wie viele Künstler in jenem Jahrzehnt, in dem der Dancefloor am stärksten regierte.

Angst vor Amerika

Am 9. Januar 1997, einen Tag nach seinem 50. Geburtstag, feierte David Bowie im New Yorker Madison Square Garden seinen „Birthday Bash“. Er lud überwiegend Indie- und Rockmusiker ein, The Cure, Sonic Youth, Foo Fighters, Frank Black, Billy Corgan, dazu Lou Reed, die er dennoch überwiegend seine „Earthling“-Lieder interpretieren ließ. Die Platte würde erst im darauf folgenden Monat erscheinen, dementsprechend neu und schwer verdaulich müssen die Stücke auf das Publikum gewirkt haben – und die prominenten Kollegen auf der Bühne mussten die Lieder vorlernen.

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Neben eher düsteren Leuten wie Robert Smith wirkte der orangene Techno-Bowie, wie zu Ziggy-Stardust-Zeiten, wie ein Alien. Von den „Earthling“-Songs verabschiedete er sich nach der Konzertreise schnell. Nach Nine Eleven sollte es dann nur  „I’m Afraid Of Americans“ sein, dass er bis zu seiner letzten Tournee 2004 häufiger aufführen würde, oft für den Zugabenblock reserviert.

https://www.youtube.com/watch?v=u7APmRkatEU

Der von Alexander McQueen entworfene Union-Jack-Mantel auf dem Plattencover schafft es, völlig zu Recht, als Exponat in die „David Bowie Is“-Ausstellung. Und auf einem seiner allerletzten Fotos, aufgenommen 2015, stellte Bowie sich im New Yorker Winter auf ein Hausdach. Wir sehen ihn, den „Earthling“-General, wieder von hinten, er überkreuzt die Arme – und blickt auf Amerika. Sein neues Zuhause, sein neues Reich.