David Bowie
„Black Tie White Noise“
„Spiele so, als hätte es die 1950er nie gegeben!“, wies David Bowie seinen Produzenten Nile Rodgers an.
Als „New Jazz“-Album wurde David Bowies finales Werk, „Blackstar“ von 2016, gelobt. Aber bestand es nicht eher aus Pop-Songs, die durch Bläser und gelegentlich verrücktes Schlagzeug aufgewertet wurden?
Eine gute Platte, sicher. Aber nicht Bowies erste dieser Art. Das eigentliche Dance-Jazz-Album unter seinen 27 ist „Black Tie White Noise“. Das in der Diskografie jedoch einen undankbaren Platz einnimmt.
Es war 1993 seine erste nach Auflösung von Tin Machine, der belächelten Rockband. Die Renaissance des Musikers sollte erst mit dem konzeptartig verkünstelten „1. Outside“ zwei Jahre später eingeläutet werden.
„Black Tie White Noise“ findet sich regelmäßig unter den Flop 5 David Bowies. Oder schlimmer noch, es taucht darin nicht auf, weil es die Leute gleichgültig lässt. Die drei Singles, neben dem Titelstück noch „Jump, They Say“ und „Miracle Goodnight“, gingen unter. Vor allem die Produktion Nile Rodgers’ wurde bemängelt.
Wenig muskulös
Statt nach Funk plus jenem Rodgers-typischem Fettschlagzeug, das 1983 „Let’s Dance“ zum Hit machte, klang diese Zusammenarbeit eher ätherisch. Wenig muskulös. Es war nicht das, was Bowie/Rodgers-Anhänger hören wollten. Dabei befand Bowie sich längst woanders.
Er war begeistert von House und R&B, die Ende der 1980er-Jahre groß wurden, als Stile von seiner Tin Machine aber natürlich nicht berücksichtigt werden konnten.
Mit „Black Music“, sagte Bowie, wuchs er auf. „White Noise“, das Rauschen, habe er auf dem Synthesizer neu entdeckt. Auf den zwölf Songs unterstützten ihn so viele Gaststars wie selten. Externe (Lester Bowie, Al B Sure) wie Interne (Mike Garson, Rodgers und der alte Weggefährte Mick Ronson).
Bowie selbst griff wieder zum Saxofon. Vielleicht spricht ja für die Platte, dass das Saxofon so selten als Melodie-Instrument zu hören ist. Sondern eher als Effekt, dessen Ursprung man manchmal gar nicht identifizieren kann.
„Wie Morrissey, der wie Bowie klingen will“
Er coverte einen Song von Morrissey („I Know It’s Gonna Happen Someday“). Womöglich hatte das weniger mit einer Vorliebe für das Lied zu tun als einfach damit, ein Statement zu setzen. Es war eine rührende Geste an den Ex-Smiths-Sänger, der auf „Your Arsenal“ seinem Vorbild nachgeeifert hatte. Das Stück selbst erschien unauffällig. „Ich höre mich darauf an“, sagte Bowie, „wie Morrissey, der wie Bowie klingen will.“
Definitiv trat der 46-Jährige in eine neue Phase ein. Die Anerkennung seines damals schon gigantischen Backkatalogs wuchs derart, dass er sich die Freiheit nehmen konnte, zunehmend fremdes Material zu interpretieren.
Mit Scott Walkers „Nite Flights“ machte er ein kompliziertes Lied noch komplizierter. Lange bevor Walker wieder hip wurde. „Don’t Let Me Down and Down“ war ein Lied der unbekannten mauretanischen Musikerin Tahra Mint Hembara. Seine Ehefrau Iman war angetan von der Sängerin. Und bat Bowie, dies neu aufzunehmen.
„Black Tie White Noise“: das Hochzeitsgeschenk
Überhaupt, Iman. Eine gewisse Lässigkeit war mit „Black Tie White Noise“ verbunden, da Bowie die zwölf Songs nicht als „Comeback des Solomusikers nach dem Ende von Tin Machine“ bewarb. Sondern als Hochzeitsgeschenk an seine Geliebte, die er kurz zuvor geheiratet hatte.
Zwei „Wedding“-Songs rahmen das Werk ein. Darunter der erste instrumentale Opener seit „Speed Of Life“ von „Low“ 1977. Und aus instrumentalen Eröffnungsstücken spricht ja immer das Selbstbewusstsein, Spannung erzeugen zu können.
Was würden wohl erst die nachfolgenden Lieder bringen, auf denen er singt?
Das gesamte Vorgehen erweckte den Eindruck, als sei die Platte nicht auf Verlangen der Fans erschienen, sondern weil Bowie Iman begehrte und das eben öffentlich machte.
Diese Quasi-Beiläufigkeit im Blick auf die eigene Karriere kam vielleicht nicht überall gut an.
„Miracle Goodnight“ müsste als eine seiner meistunterschätzten Singles in die Geschichte eingehen (nur Platz 40 im Vereinten Königreich). Eine seiner schönsten ist sie sowieso.
„I love you in the morning sun, I love you in my dreams / I love the sound of making love, the feeling of your skin / The corner of your eyes, I long forevermore / I never want to say goodnight, miracle goodnight“. Dazu das wahrscheinlich, nein, ganz sicher beste Gitarren-Solo, das auf einem Bowie-Lied zu hören ist – und das nicht der fürs Album zurückgeholte „Spider from Mars“ Mick Ronson verantwortete, sondern Nile Rodgers.
Ein Gitarren-Solo wie dieses gab es vorher nicht zu hören, und seitdem auch nicht mehr. „Spiele so, als hätte es die 1950er nie gegeben!“, wies Bowie seinen Produzenten an. Also so, als wäre „weiße“ Popmusik nie von „schwarzer“ beeinflusst worden. „Ich will keine einzige Blue Note hören.“ Nichts, das an Blues erinnert (etwas widersprüchlich, verstand Bowie das Album doch als Hommage an „Black Music“).
Die von Rodgers gespielten Töne, ganze 11 Sekunden, vermitteln ein Gefühl der Erhabenheit, die den Chic-Gitarristen zeit seiner Karriere nicht auszeichnete. Klang dessen Sound auf „Let’s Dance“ 1983 wie bester Nile Rodgers, und Stevie Ray Vaughans Gitarre darauf wie Stevie Ray Vaughan, war das hier völlig neu.
Im April feiert „Black Tie White Noise“ sein 25. Jubiläum. Das Album erhielt damals keine eigene Tournee, und nur wenige Songs daraus spielte Bowie später live (die meisten nur im Jahr der Veröffentlichung, bei Talkshow-Auftritten).
Es war der Auftakt seiner kurzen Experimental-Phase in den 1990er-Jahren, die mit „The Buddha Of Suburbia“ weiterging und nach „1. Outside“ mit „Earthling“ 1997 endete.