David Bowie
Never Let Me Down
Verlachte „Glass Spider“-Tour, verlachtes Album: Fast alle sind sich darüber einig, dass David Bowie mit „Never Let Me Down“ auf dem Tiefpunkt angekommen war. Warum die 36 Jahre alte Platte es dennoch verdient, gründlicher gehört zu werden.
Als „Never Let Me Down“ erschien, war David Bowie 40. „Eigentlich kein Alter“, wie man so sagt. Aber in den 1980er-Jahren schon. Im Pop sowieso. Und Bowie verstand die Achtziger vor allem als Pop. Über weite Strecken des Jahrzehnts wollte er so klingen wie jene Musiker, die mindestens eine Generation nach ihm kamen: Michael Jackson, George Michael, Prince. Alle damals drogenfrei und positiv eingestellt, ohne die Lebenserfahrung eines Bowie.
Ihnen konnte der Sänger, der immer dann am besten war, wenn er seinem Gespür folgte, also gegen den Trend vorging – düstere Elektronik statt Punk („Low“), Verlierer-Soul statt Glam („Young Americans“) – nicht viel entgegenhalten. Denkt man an die Megastars der mittleren Achtziger, dann fallen einem alle möglichen ein. Nur nicht dieser König der Siebzigerjahre. Bowie, der Prince als „großartigen Dieb“ bezeichnete, war gestürzt.
Bowie hatte mit „Never Let Me Down“ zwei Fehler begangen, einen kleinen und einen großen. Der kleine: Er richtete die Arrangements seiner Lieder danach aus, ob sie als Live-Versionen funktionieren würden. Sie sollten gedehnt werden können, mit längeren Instrumentalpassagen, einzeln herausgestellten Instrumenten – für die freie Entfaltung der Tänzer, der Musiker, für ihn, für die riesige „Glass Spider“-Bühne, die alle seiner bisherigen Bühnen in den Schatten stellen sollte. Es war kein Zufall, dass Bowie für alle drei Singles plus Albumtracks etliche und gigantisch lange Maxi-Versionen produzierte.
Auf iTunes etwa wird man von den unterschiedlichen Fassungen der Singles fast erschlagen – und dann, ganz unten in der jeweiligen Maxi-Tracklist, gibt es dann auch noch unbekannte B-Seiten wie „Girls“, auch die als „Extended“-Versionen. „Ich möchte Stücke nur fürs Stadium schreiben“, sagte Bowie. „Als würde man ein Musical mit auf Tour nehmen – mit einem Narrativ, das alle Songs durchzieht, mit Schauspielern, und geschrieben für das epische Theater. “ Puh.
Der zweite, größere Fehler: Die Stücke hätten gar nicht wie Pop klingen dürfen. Bowie und sein Produzent David Richards hatten sich in einem der spannungsfreiesten Länder der Musikgeschichte, Schweiz, eingerichtet, im reichen Montreux. Dort, wo es sich schon die befreundeten Musiker von Queen mit „A Kind Of Magic“ gemütlich gemacht hatten. Bowie erholte sich von seinem Tutti-Frutti-Jahr 1986, in dem er einzelne Arbeiten, aber kein komplettes Album veröffentlichte. Es gab den Fantasy-Pomp von „Labyrinth“, den gelungenen Schlager-Ausflug mit „Absolute Beginners“ und die Anti-Atomkriegs-Hymne „When The Wind Blows“.
Dabei hatte David Bowie für „Never Let Me Down“ nicht Pop, sondern seine alte Helden im Sinn, die einstigen Rebellen: Little Richard, Chuck Berry, von den jüngeren Sängern auch Lennon. Diese Platte sollte eine Rock’n’Roll-Hommage sein. Für 1987, als keiner Rock’n’Roll im Sinn hatte, eigentlich eine tolle Idee. Im Titelsong sang er wie der junge Beatle John, in „Shining Star (Makin’ My Love)“ imitierte er die Höhen von Smokey Robinson. Die Platte hätte also ein zweites „PinUps“ werden können. 1973 huldigte Bowie mit Coverversionen seinen Idolen, hier nahm er eigenes Material auf.
In die Ecke getrieben wurden die Lieder dann von den Strömungen des Pop, einer Musikrichtung, die 1987 kein erkennbares, kluges Konzept hatte, sondern vor allem aus fetten Drumbeats bestand. New Wave war vergangen, die „Let’s Dance“-Eleganz eines Nile Rodgers ließ sich auch nicht wiederholen. Die erfolgreichsten Pop-Produzenten des Jahres würden am Ende Quincy Jones („Bad“) und Stock Aitken Waterman (Rick Astley, Kylie Minogue und Co.) sein.
Woran hätte Bowie sich orientieren sollen. HipHop? Zu Kurt Loder sagte er 1987 im ROLLING STONE: „Mit einem Großteil der schwarzen Musik habe ich wirklich meine Probleme. Irgendwie ist das schon alles zum Tanzen, aber es fehlt einfach das Dämonische, der Schatten, es ist mir alles zu glatt.“
Schulterpolster sind die Schlaghosen der Achtziger
Er selbst konnte aber auch keine wirklichen Schatten mehr werfen. Auf dem „Never Let Me Down“-Cover flog er in einer Art Manege der Kamera entgegen. „Schulterpolster sind die Schlaghosen der Achtziger!“, sagte er gutgelaunt zum ROLLING STONE. „Ich bin heute wieder mehr so, wie ich 1967 war. Und nicht wie zum Beispiel 1977. Zumindest kommt mir das selbst so vor. Ich bin so positiv und gut gelaunt und optimistisch wie damals.“
Bowie muss ja auch nicht am Boden liegen, um in Bestform zu sein. Aber es hilft. Songs wie „Day-In Day-Out“ oder „Shining Star (Makin’ My Love)“ trugen die Trauer ja in sich, es geht um Obdachlosigkeit, Slums, Straßenkriminalität. Indizierte Videoeinstellungen der Songs deuteten eine Vergewaltigung an, in einer weiteren pinkelt ein Mann auf am „Hollywood Walk auf Fame“ auf den Stern vom damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan. Manch ein Kritiker, der „Never Let Me Down“ für „oberflächlichen Pop“ hält, hatte das vielleicht gar nicht mitbekommen.
https://www.youtube.com/watch?v=LO7a3HYM5b8
Die Tragik liegt darin, dass auf „Never Let Me Down“ mindestens fünf dieser elf „Black Music“-Songs richtig gut sind – man hört es ihnen in dieser Form nur nicht so leicht an. Vielleicht hätte Bowie sich auch mal ins Straßengetümmel werfen sollen, statt in Montreux klare Schweizer Luft einzuatmen.
„Zeroes“ hätte groß werden können, aber im Song steckte zuviel Entwurf. Ein Stadionsprecher heizt darin dem jubelnden Open-Air-Publikum ein („Ladies and Gentlemen / Tonight, Yes, The Zeroes Will Be Singing For You“), Bowie setzt dann mit Chor ein, und lauter als alles andere ist dann ausgerechnet Peter Framptons Sitar. Dabei war der Song nicht mal als Verballhornung seines berühmtesten Werks, „Heroes“, gedacht.
Bowie ließ sich erneut über Loser aus und kombinierte das mit Science Fiction, die ihn in den 1980ern faszinierte, vor allem Science Fiction und Gewalt. „You’ve arrived in the land of a thousand different names / And the fabulous sons have crashed their planes in flames / Now tomorrow is back claiming redemption is on your heels /And a toothless past is asking you how it feels”. „In ‘Zeroes‘ wollte ich alle Klischees der Sechziger hineinpacken – lasst die Liebe herein – so etwas in der Art“, sagte Bowie im Gespräch. „Aber das ist alles mit Zuneigung gemacht, da ist keine Herablassung im Spiel.“
„Beat Of Your Drum“ hatte eine ähnliche Klasse, wurde aber auch durch die Studio-Produktion unter Wert verkauft. Songs der Siebziger, „Blackout” etwa oder „Stay”, gelten ja als Vorzeigematerial für Bowies Kontrollverluste und Bindungsunfähigkeiten. Auch wenn der Sänger 1987 längst als clean galt: Hier zeigt er sich noch ein letztes Mal völlig derangiert, mit einigen der mitreißendsten Zeilen seines Jahrzehnts: „Photograph king, watches you go / Fashions may change, heaven knows / but you still leave a stain on me / Supplement queen / your colours may fade / Seasons may change, weather blows, but you still leave a mark on me”.
Angst vor Atomkrieg
Nur zweimal lag er im Song leicht daneben. “I Like To Beat On You Drum” ist als Wortspiel für Sex ähnlich schlimm wie das damals von allen benutzte „I Like To Blow Your Horn”. An anderer Stelle bezeichnete Bowie die junge Meute als „Disco Brats”. So redet der Onkel, wenn er nachts aus dem Fenster auf eine laute Straße schaut.
Dritter Höhepunkt war „Time Will Crawl“. Umwelt-Zerstörung, Tschernobyl sowie die Gefahr eines Atomkriegs belasteten Bowie. Den Songtitel schreit er bereits während der ersten Takte heraus – impulsiv, fast genial – und wirft sich dann in dieses Lied über Piloten in Todesmission und missgestalteten Menschen und Tieren.
Das Video (Regie: Tim Pope) offenbart unfreiwillig lustig einen schlechten Schnitt. Sichtlich angespannt versucht Bowie gleich zu Beginn eine Balance zwischen Lipsync und Abseilen zu halten:
https://www.youtube.com/watch?v=gMhMaNAmT-U
Die Version auf dem Album bietet einen recht undifferenzierten Mix, in dem Bowies Stimme etwas untergeht. Der „MM Remix” aus dem Jahr 2008 bietet schließlich die Power, die in dem Lied schlummert. Völlig zu Recht kennzeichnete er das Stück als eines der besten seiner Karriere.
Die Tournee 1987
„Never Let Me Down“ wurde nach Erscheinen weder ein Hit, noch erhielt die Platte gute Kritiken (setzen Sie mal den Besserwissern, die sich hinter dem Bowie-Kanon verstecken, die Pistole auf der Brust und fragen, wie viele Songs dieses Werks oder des Vorgänger-Albums „Tonight“ sie wirklich kennen: meistens keine handvoll). Bowie selbst stieß die Songs schnell von sich. Bis zu seinem Tod 2016 würde er, nach der Tour von 1987, keinen einzigen davon je wieder aufgeführt haben.
https://www.youtube.com/watch?v=c4ZZMbpUFMY
Die „Glass Spider“-Tournee gilt heute fast als schlechter Witz: Was steht hinter der Philosophie der „gläsernen Spinne“, von der er auch auf Platte singt? Keiner weiß das heute mehr, keinen hat das damals interessiert. Bowie in einem Stadion sehen, das wollten die Leute aber schon. Seine bislang längste Konzertreise (86 Auftritte) spielte knapp 90 Millionen Dollar ein und präsentierte die größte Bühne ihrer Zeit. Sie bestand aus eben jener „Spinne“, 18 Meter hoch, die die Aufbauten mit ihren „Beinen“ umschloss. Die Form diente als Inspiration für U2 und deren „Bühnen-Krake“ von 2010 und war damals, wofür Bowie Kritik erntete, von Pepsi gesponsert (jener Marke, die einst große Namen angelte und heute kaum noch Star-Power hat). Die Spinne lockte die Leute also an, auch wenn der suggestive Albumtitel „Never Let Me Down“ als Live-Motto vielleicht ebenso gezogen hätte.
Bowie trat zum allerersten Mal nicht nur in Australien auf, sondern – kaum zu glauben – erstmals auch in europäischen Kernzielgruppen-Ländern wie Österreich, Spanien, Italien. Die Support-Acts wurden sorgfältig ausgewählt – alle gut und aus verschiedenen Genres, aber allesamt solche, die 1987 fast als has beens galten. Der alte Kumpel Iggy, Nina Hagen, Duran Duran, Siouxsie & The Banshees, The Cult.
Vor dem Tourstart am 17. März in Toronto – das Publikum konnte das „Never Let Me Down“-Album noch gar nicht kennen – hatte Bowie die „Glass Spider“-Spannung bereits seit einem Jahr angeheizt. Seine Band „warnte“ er, „seid bereit für 1987“. Seine Fans verunsicherte er mit den Worten: „Beim Essen oder Schlafen – ich habe seit sechs Monaten ausschließlich an diese Konzerte gedacht“.
Pantomime a lá „Diamond Dogs“
So wie Michael Jackson und Prince, die ein Jahr später, 1988, ihre größten Tourneen beginnen würden, war Bowie zwar auch Tänzer. Aber er war nicht, so wie sie, Geschwindigkeitstänzer oder Tänzer mit erotischen Bewegungen. Er war ein Ausdruckstänzer. Seine Wurzeln lagen in der Pantomime. Und er sah sich, anders als bei der Shakespear-meets-Orwell-artigen „Diamond Dogs“-Tour von 1974, nun als Teil eines Ensembles.
Deshalb machte Bowie den entscheidenden Fehler: Er präsentierte auf seiner Mega-Stage ein Arsenal an Tänzern und Musikern, vernachlässigte die eigene Kommunikation mit Fans. Nahezu jedes Lied bekam eine eigene Inszenierung, von Rockabilly-Diner bis Futur II. Alles Show. Für die Songs war da kein Platz mehr. Man wollte ja Bowie „Absolute Beginners“ singen hören, nicht ihm dabei zusehen, wie er ein junges Bühnen-Tanzpaar damit ansingt.
Perfekte Vorlage für eine Mockumentary
Sein Konzert in West-Berlin in der Nähe des Brandenburger Tors sollen bis zu 80.000 Fans gesehen haben. Die Musik hatte einen grenzübergreifenden Effekt: Sie schwappte an jenem Abend bis nach Ost-Berlin rüber, und es gab Krawalle. Bowie war gleichermaßen Fan von West-Berlin und Ost-Berlin. Und die in der DDR wollten an ihm, der zehn Jahre zuvor auf der anderen Seite lebte, nun auch teilhaben.
Die dramatischen Inszenierungen, vor allem natürlich die Zwischenfälle der „Glass Spider“-Tour, sind der Stoff, aus dem Legenden sind. Das Netz listet einen Knaller nach dem anderen, Ricky Gervais oder Sacha Baron Cohen sollten sich mal einer Mockumentary a lá Bowie `87 annehmen. Gleich zu Beginn des Sets, „Time“, ließ der Sänger sich auf dem Spinnenkopf platzieren, in fast 20 Metern Höhe, eingerahmt von Engelsflügeln. Bei Open-Air-Shows mit schlechtem, windigen Wetter aber fiel dieser Show-Einstieg schon mal flach.
Bei einem Auftritt in Rom gab es Krawall im Publikum, Bowie musste durch Tränengas hindurchsingen – die Polizei nahm 50 Zuschauer fest. Der richtige Brüller fand nach dem zweiten Rom-Konzert statt. Der Musiker befand sich im Flugzeug, dann gab es eine Bombendrohung, die Crew musste zurück in die Stadt. Ein Bluff, inszeniert vom hiesigen Polizeichef. Er wollte halt noch gerne ein Autogramm. Bowie: „Ich war nicht verärgert, sondern erstaunt – so was gibt’s nur in Italien.“
Nach einem halben Jahr, Ende November 1987, war die „Glass Spider“-Tour vorbei. In Neuseeland, so der Mythos, habe Bowie sich einen Wicker-Man-Moment verschafft und die Riesenspinne auf einem Feld verbrannt: „Das war eine Erleichterung!“
Von Megastar-Pop und Riesenspinnen hatte David Bowie nun für viele, viele Jahre genug. Er ließ sich einen Dreitagebart stehen und gründete eine Band, hinter deren Namen er sich fortan verstecken wollte: Tin Machine.
Aber da würde der Ärger mit Fans und Kritikern erst so richtig losgehen.