Coldplay :: Parachutes
Das phänomenale Debüt der besten britischen Band dieses Jahres
Mit schwereloser Schwermut ging’s für Coldplay an die Spitze der britischen Charts. Das bald erbarmungswürdige Hin und Her der Herren Gallagher funktioniert als Symbol: Es ist vorerst aus mit den großen Gesten, pfauenhaften Attitüden und lauten Proklamationen in Britannien. Man mag das blasierte Gebalze ja nicht mehr hören, sucht statt dessen die unverfälschte Attitüde, das wahre Leben, und wird fündig bei Antihelden wie Fran Healy und Thom Yorke, im bescheidenen Gebaren von Sängern, die sich mit dem Sein abmühen und den Zerriss gar nicht leugnen wollen.
Die Abkehr von den Dompteuren rückt nach Travis nun das Wahl-Londoner Quartett Coldplay ins Blickfeld der britischen Öffentlichkeit Die kaum Zwanzigjährigen erprobten die eigene Kreativität bislang auf einigen EPs und Singles und wurden wahlweise als große Hoffnung gefeiert oder als Radiohead-Klon abgetan.
Das nun auch hier zu Lande erschienene Debüt vereint die Visionäre mit den Unkenrufern: „Parachutes“ verkaufte sich daheim in der ersten Woche 70 000-mal, raste an die Spitze der britischen Albumcharts und bescherte dem UK eine neue Heldenformation. Helden, wie wahr.“Parachute“ ist, wie laut muss man das sagen, das frühreife Werk einer über alle Maßen begabten Superkapelle. Zwischen Understatement und großem Gefühl entwerfen Coldplay musikalische Skizzen mit ätherischen Gitarren und nackten Melodien und steigen schwermütig schwerelos in den Himmel. „I wanna fly/Never come down“ singt Sänger/ Gitarrist Chris Martin, und seine Lieder werden Flügel. Die Vorbilder sind dabei noch allgegenwärtig: Coldplay drapieren die eigene Substanz mit Radiohead-Klangkosmetik und (gelegentlich) Jeff-Buckley-Dramaturgie, aber kurzsichtig ist, wer die Band nun aufs bloße Zitat reduzieren will. Songs wie „Spies“ und „Trouble“ sind intime Seelenvehikel, fragile Luftschlösser, erbaut mit Sehnsucht im Herzen.
Bei allem Sinn für Zerfall und Unerfülltheit durchzieht ein Motiv die Musik von Coldplay: Hoffnung. „Everything’s not lost“, singt Martin zum Schluss des Albums das eigene Mantra, und jetzt geht der Fallschirm auf, wird der Sturz gebremst – Coldplay meistern am Ende das Leben mit Zuversicht und stiller Freundlichkeit.
Mittendrin die erste Single, „Yellow“: Es kracht kurz und ist aus mit der Stille, doch bevor man sich beschweren kann, entlassen Coldplay den jähen Lärm in einen Vier-Minuten-Moment voll schlichter Schönheit. Vor unseren Augen entfaltet sich ein Lied, das die melancholischen Jungspunde tatsächlich auf eine Ebene mit den großen Kollegen hievt – „Yellow“ ist Coldplays „Creep“, „Don’t Look Back In Anger“ oder „Why Does It Always Rain On Me“, ein Credo, eine Präambel, schlicht eine Wucht. Im Video läuft Chris Martin singend am nackten Strand, durchnässt vom Regen, von den Gewalten, vom Leben eben, und bald wird das kleine Lied ganz groß.