Chumbawamba – WYSIWYG :: Die britischen Agitprop-Eklektiker mit Titatenschatz und Satire
Was man sah: eine Band, die in jedem Pub für gute Stimmung sorgte und irgend etwas von „Tubthumping“ sang. Was man bekam: eine Band, die so politisch ist, dass sie Tony Blairs Stellvertreter John Prescott bei den Brit Awards mit einem Kübel Eiswasser begoss – weil et nicht so „cool und trendy“ aussehen sollte, wie er gern wollte. Wenn das kein Engagement ist. Chumbawamba sind eine Mogelpackung, die noch besser funktioniert als eine Designer-Pralinenschachtel: Ihre Melodien sind zuckersüß, die Stimme von Alice Nutter ist lieblich – und die Texte immer noch politische Manifeste. „What You See Is What You Get“? Von wegen.
Vor lauter Vielfalt und Saxofonen, Streichern und Scratching weiß man am Ende kaum mehr, wo einem der Kopf steht. Das Label „Polit-Punk-Pop“ ist längst viel zu kurz gegriffen. Im Schnellkurs wird die Musikgeschichte abgehandelt, von Folk bis Big Band. Bei „Pass It Along“ wird gar gerappt, allerdings so angenehm entspannt, dass selbst HipHop-Hasser es mögen müssten. Madness-Fans auch, denn ein bisschen „Our House“ ist ebenfalls dabei Hit-Gefahr besteht bei etlichen Tracks, zumal die Briten auch noch „New York Mining Disaster 1941“ von den Bee Gees covern – ganz ernsthaft, ganz schön.
Überhaupt klauen sich Chumbawamba wieder einmal die besten Stückchen diverser Stile zusammen. Viel hat sich nicht verändert, seit sie 1985 die „Revolution“ ausriefen – sie wurden nur besser, meinetwegen auch poppiger. In diesem Falle läuft das wohl auf dasselbe hinaus. Schlachtrufe ohne Massen-Appeal machen ja viel weniger Sinn als gut verpackte Aufforderungen zur Rebellion. Außerdem sind die Briten halt auch keine 20 mehr. Anstrengend sind inzwischen nur noch ihre Booklets: seitenweise Ausführungen, selbst zu Songtexten, die nur wenige Zeilen lang sind. Wir erfahren die Wahrheit über Los Angeles (übertriebener Sicherheitswahn und zu wenig Platz für die Armen), Sitcoms („We don’t have friends, we watch Friends“) und Woodstock 2 („a festival for the advertising generation“). Man fühlt sich manchmal schiecht, weil ertappt, aber meistens rettet einen der Humor der Band über die Belehrungen hinweg. Der Zeigefinger ist ausgestreckt, die Faust erhoben, aber dieses Grinsen im Gesicht geht doch nicht weg. „The Physical Impossibility Of Death In The Mind Of Jerry Springer“ und „Ladies For Compassionate Lynching“ sprechen für einen lockeren Umgang mit ernsten Themen wie Talkshow-Terror und Zensur. Angeblich überlegten sich Chumbawamba anfangs lange, ob sie „ein Pop-Album herausbringen oder kommerziellen Selbstmord begehen sollen“. Und das jetzt, da es doch gerade aufwärts ging. Sie entschieden sich für weder noch. Eine gute Wahl.