Bruce Springsteen
We Shall Overcome: The Seeger Sessions
Die Poesie Amerikas, mit atemraubendem Schwung gespielt
Der Name des Altvaters Pete Seeger als Titelgeber dieser Sessions ist insofern irreführend, als der versöhnlerische und fromme Gestus in den Liedern abwesend ist. Das einzige originäre Seeger-Stück, „We Shall Overcome“, knurrt Springsteen als dunkle, beinahe grimmige Ballade, als sehnsüchtige Utopie. Auch handelt es sich bei diesen Folk-Songs nicht um Protest-Lieder, die bittere Kriegs-Litanei „Mrs. McGrath“ und „Pay Me My Money Down“ ausgenommen. Vielmehr sindes Worksongs, Spirituals, Gospels, Old Timey Music. Und Springsteen wirft sich mit einem Oberschwang in die Sause, wie man sie nur von „Sherry Darling“, „Ramrod“, „Darlington County“ oder „Mary’s Place“ kennt. Von nicht sehr bedeutenden Stücken also.
Doch der Rapport der Musiker bei diesen tumultösen Aufnahmen ist atemraubend und ergreifend. Violine, Akkordeon, Banjo, Piano, Waschbrett und die kleine Jug Band evozieren die Jahrhunderte, lassen die europäischen Ursprünge anklingen, Jazz und Dixieland, Kirchenlied und Spottgesang. Das glühende „Mary Don’t You Weep“ klingt wie ein Hymnus von Tom Waits, dessen Werk sich aus denselben Quellen speist, „Erie Canal“ kann man sich auch in einer Version von Nick Cave vorstellen. Die Bläser-Sektion, der Background-Chor und der Schlagzeuger Larry Eagle leisten Wunderbares – anders als die E Street Band klingt dieses Ensemble niemals bombastisch und schwergängig, die Musik strahlt, tanzt, torkelt, poltert, schmettert, schunkelt, hebt ab. Ein wenig erinnert das auch an den heimischen Schulunterricht, wenn die „Mundorgel“ zur Hand genommen wird und Favoriten wie „Wer hat die Kokosnuss?“ oder „Bolle“ intoniert werden.
Bolle ist natürlich Bruce, und er hat sich köstlich amüsiert. Als Kolonnenführer, Stimmenversteller und Lokomotive ist er ganz in seinem Element, doch das Salbungsvolle, das Dozieren klingt allenfalls in seinen Kommentaren (in der Dokumentation auf der DVD) an, wo in Springsteens Farmhaus, bei Springsteens Sessions nur einer spricht, während Springsteens Frau singt und Springsteens Kaffee ausgeschenkt wird. Von der Truppe hört man nur mal zustimmendes „Ha-ha!“ oder „Hoho!“. Diese Folklore aber, voll wüstem Witz und derber Sprache, refrainselig und mitreißend, hat die autochthone Kraft und Tröstlichkeit der Musik in Michael Ciminos „Heaven’s Gate“, wenn Isabelle Huppert und Kris Kristofferson ihren einsamen Tanz auf die Dielen legen. Die Poesie Amerikas.