Bruce Springsteen
Devils And Dust
Gottsuche, Einsamkeit, Heimweh: eine Reise in die Finsternis der Seele
Damals gab es noch Hoffnung, als sie sich die Strumpfhose anziehen und das Haar hübsch machen sollte, um ihn in Atlantic City zu treffen. Alles stirbt, Baby, aber vielleicht kommt auch alles eines Tages zurück. Das war vor 23 Jahren, auf der Platte „Nebraska“. Reine Americana, Kurzgeschichten vom beschädigten Leben, von der Verzweiflung auf nächtlichen Autobahnen, vom Scheitern und Sterben und der Abwesenheit Gottes – „and at the end of every hard earned day people find some reason to believe“. Kerouac, Steinbeck, Hemingway – es war alles darin aufgehoben, und es war alles Rock’n‘ Roll.
Als Bruce Springsteen dann über seine ungeduldige Leidenschaft sang, über die Arbeit in der Autobahnmeisterei, über einen wilden Ausflug, Erinnerungen an glorreiche Tage und an seine Heimatstadt, da wurde er weltberühmt, und überall waren alle Amerikaner, wenn sie nur Blue Jeans trugen und dem Boss folgten: Das war „Born The USA“. Aber Springsteen verliebte sich, heiratete und grübelte dann über das Wesen und die Zumutungen der Liebe, und auch darüber machte er eine wahrhaftige und wunderbare Platte, „Tunnel Of Love“. Als er schließlich eine Familie gründete und die Tage glücklicher wurden, hatte er nicht mehr viel zu sagen. Bis er, 1995, von illegalen Einwanderern und Tagelöhnern erzählte, von Fabrikschließungen und sterbenden Städten, von Verzweiflung und Unbeugsamkeit: „Look out, Mum, I’ll be there.“ Die Kritiker lobten „The Ghost Of Tom Joad“ als große Dichtung und Sozialreportage, doch der Künstler verlor beinahe sein Publikum.
Man kann auf diese Platten rekurrieren, man könnte auch früher ansetzen – jedenfalls kam „Devils And Dust“ einen weiten Weg.
Schon während der Tournee in den Jahren 1996 und ’97, mit der er gar nicht mehr aufhören wollte, schrieb Springsteen die meisten der Stücke, die jetzt versammelt sind. Man hört den Nachhall von „Tom Joad“, der Tonfall ist ähnlich, hier erzählt einer in der ersten Person Singular, und es ist eine Beichte. Keine E Street Band verlötet die Brüche und Risse in den Songs, die denen in den Biographien entsprechen. Springsteen schlägt die Gitarre, läßt die Drums krachen, spielt Mundharmonika, und er singt Texte, die sich gegen die Musik sträuben, auch gegen das Singen. Hier reimt sich fast nichts mehr, hier sind die Refrains traurige Beschwörungen. Und die Stimme ist nicht mehr jenes sehnsuchtsvolle, echobeladene Hollern, das Springsteens Liedern die Aura gab. Die Stimme ist jetzt gebrochen, gequetscht, dunkel. „Devil And Dust“ ist ein Album über die Suche nach Gnade, über den Glauben, über Heimweh und Unbehaustheit. „We’re a long way from home, Bobbie/ Home’s a long long way from us/ I feel a dirty wind blowing.“ Noch einmal verspricht der Typ aus „Atlantic City“, älter und müde geworden, das kleine Glück: „Now it’s some old Stones song the band is trashin’/ But if you feel like dancin’/ Baby I’m askin‘.“ In „Reno“ erzählt jemand vom Besuch bei einer Hure, ein drastischer Text: „She had your ankles, I felt filled with grace/ Two hundred dollars straight in/ Twofifty up the ass, she smiled and said.“ Die Gedanken schweifen ab, Erinnerungen an die verwehte Liebe, „smell of mock orange filled the air/ I was sure the work and the smile comin‘ out ’neath your head was all I’d ever need“.
So geht es weiter, mit Slide Guitar, mit wenig Geige, Piano, Orgel, einem elektrischen Gitarren-Solo, Delta-Blues, einem Frauen-Chor in „Long Time Comin'“, Gospel und Folk zugleich, an „Better Days“ erinnernd, doch mit dem letzten Satz „I ain’t gonna fuck it up this time“. Springsteen singt von den schwarzen Cowboys in Oklahoma und von Marias Bett, einem Ort offenbar wie früher „Candy’s Room“, vom silbernen Palomino, von Leah und dem „Hitter“, mit Reminiszenzen an „Nebraska“ und „Meeting Across The River“: „I did what I did, well it came easily/ Restraint and mercy, ma, were always strangers to me.“
Es ist eine lange Reise in die Finsternis der Seele, ohne Versprechen, wenn auch nicht ohne Trost Aber die Erlösung, so sagt es Gottes einsamster Mann, geschieht nicht in dieser Welt Das Beste, was er je tat, ließ Gary Cooper wenige Tage vor seinem Tod dem Freund Ernest Hemingway ausrichten, war die Bekehrung zum Katholizismus.