Brandi Carlile
Give Up The Ghost
Als Brandi Carlile vor zwei Jahren in den USA mit dem Album „The Story“ Aufmerksamkeit erregte, sahen sie viele als Kuriosum. Da war diese übermächtige Stimme, die aus manchen Refrains herausbrach wie ein Unwetter, es war eine Schau. Man dachte an Melissa Ethridge, die zu ihrer Zeit etwas Ähnliches auslöste. Es ist wahr, dass Carlile ein ungewöhnliches Volumen in ihrer Stimme hat; sie hat mit diesem Pfund eine Weile gewuchtert. Aber aufgepasst! Wenn die Leute einen immer nur beim Tönepressen erleben wollen, sind sie bald gelangweilt.
Auf ihrem neuen Album setzt die aus Washington stammende Sängerin und Songschreiberin ihre Waffe dezenter ein, taucht etwas weicher unter ihren Liedern weg und konzentriert sich auf ein detaillierteres Gesamtbild. An „Give Up The Ghost“ waren neben Carliles Stammmusikern, den Zwillingsbrüdern Tim und Phil Hanseroth, viele Berufene beteiligt. Benmont Tench (Keyboards), Chad Smith (Schlagzeug) und Lenny Castro (Percussion) sind in L.A.-Studios übliche Verdächtige, Amy Ray von den Indigo Girls singt eher selten für andere. Überraschung: Bei dem lustigen Boogie Woogie „Caroline“ spielt Elton John das Honky-Tonk-Klavier und singt im Duett! John hatte sich schon länger für Carlile stark gemacht und ihre Stimme öffentlich gepriesen. Das Lied wird ihn an früher erinnert haben.
Carliles Musik umfasst die Spielarten, die ein US-amerikanischer Singer/Songwriter zur Verfügung hat. Country & Western („Dying Day“, If There Was No You“), Folk-Rock („Looking Out“, „Dreams“) und Gitarrenballaden („Pride And Joy“, „That Year“) – sie ist keine ganz große Komponistin, doch im Zusammenhang entwickelt das Repertoire auf „Give Up The Ghost“ eine angenehme innere Wärme. Geschrien wird fast gar nicht.
Jörn Schlüter