Bobby Charles
Last Train To Memphis
Proper
Unter den Gästen, welche The Band 1976 ins Winterland in San Francisco zum letzten Walzer einlud, war auch ein gewisser Bobby Charles, vorgestellt als „another friend of ours“ und „great, great songwriter“, dann ausdrücklich mit dem Hinweis „He wrote ‚See You Later, Alligator'“ für all jene im Publikum, die sich dessen nicht bewusst sein könnten.
Und das dürften die allermeisten gewesen sein. Garth Hudson spielte dann bei der Cajun-Nummer „Down South In New Orleans“ ein schönes Akkordeon-Solo, und im Vokalquartett sang neben Charles, Levon Helm und Dr. John auch derselbe Rick Danko, der fünf Jahre zuvor Charles‘ erstes Album überhaupt coproduziert hatte.
Der war – Jahrgang 1938 – zu dem Zeitpunkt längst kein Jungspund mehr, hatte aber im Lauf der Jahre auch nie nennenswerte Popstar-Ambitionen entwickelt, sondern sich im Grundsatz mit der Rolle des Songlieferanten für andere zufriedengegeben. Der Besitzer eines Plattenladens hatte ihn „entdeckt“, als er in zartem Teenager-Alter mit den Cardinals besagtes „See You Later, Alligator“ sang, von derselben Entdeckung umgehend Leonard Chess in Kenntnis gesetzt, der eine Session in Cosimo Matassas Studio arrangierte.
Irgendwer muss Bill Haley auf diesen kleinen R&B-Hit aufmerksam gemacht haben. Der machte aus der Vorlage einen richtigen Gassenhauer. Das mit dem Team Bartholomew/Domino geschriebene „Walking To New Orleans“ wurde 1960 für den auch so ein unsterblicher Evergreen. Im Jahr danach hatte Clarence „Frogman“ Henry mit Bobby Charles‘: „I Don’t Know Why I Love You (But I Do)“ den größten – Nr. 4! – Hit seiner Karriere.
Die Karriere des Songschreibers – eigentlich gar keine, von Singles für diverse Indie-Labels abgesehen – dümpelte vor sich hin. Fats Domino nahm auch dessen 2Before I Grow Too Old“ und „It Keeps Raining“ auf. Aber das ernährte den Mann auf Dauer nicht wirklich, zumal da er wieder zwei Drittel der Copyright-Tantiemen zwangsweise abtreten musste, damit der Star das überhaupt aufnahm.
Von Albert Grossman finanziert, verliefen die Sessions zu Bobby Charles‘ LP-Debüt 1971 ähnlich informell wie die zu „Music From Big Pink“. Wieder mit von der Partie als Coproduzent John Simon sowie eine ziemlich illustre Mannschaft, neben der Band (minus Robbie Robertson) auch Bob Neuwirth, Geoff Muldaur, Dr. John, Ben Keith und Amos Garrett, der zusammen mit Levon Helm den „Tennessee Blues“ zu einer Sternstunde der Platte machte. Viel handgemachter als „He’s Got All The Money“ kann Musik kaum sein (David Sanborn & Co. improvisierend), und „…Grow Too Old“ transformierte die Mannschaft ziemlich komplett in typischen Band-Sound.
Von Rhino unlängst in den „Encore“-Series zum Spottpreis neu vorgelegt, zeichnet sich diese Platte durch ähnlich exzellentes Remastering aus. Weil man da nicht ein einziges Pfund Sterling in Liner Notes investieren mochte, muss man sich halt mit Minimal-Ausstattung bescheiden. Reichlich entschädigt wird man durch den besseren Klang.
Für denselben engagierte man bei „Last Train To Memphis“ einen namhaften Tonmeister (George Marino von Sterling Sound). Unter den knapp drei Dutzend Aufnahmen dieser Retrospektive der Jahre 1975 bis 2001 findet man auch ein paar vom Album „Clean Water“, das nur in Europa und nie in Amerika veröffentlicht wurde. Dabei war Robert Charles Guidry aus Abbeville, Louisiana, durchaus nicht der sprichwörtliche im eigenen Land nicht geschätzte Prophet. Jedenfalls nicht für viele höchst prominente Kollegen, die hier – von Delbert McClinton bis Willie Nelson und Maria Muldaur und von Fats Domino bis Sonny Landreth – zu hören sind.
Beim Klassiker „Full Moon On The Bayou“ saß noch einmal Clarence „Frogman“ Henry am Klavier, ganz exquisite Slide spielte bei „The Legend of Jolie Blonde“ Martin Simpson. Ausnahmsweise gab er in seinen Songs auch mal ein Stück Autobiografie preis. „I’ve been stranded for so long“, singt er im „Homesick Blues“ und meint: „I’m lost like a song without a copyright“, aber er wolle nie wie ein Sklave (singt er tatsächlich) angepasst arbeiten.
Neben deftigem Swamp Rock („I Can’t Quit You“) und wunderbarem TexMex („Angel Eyes“) findet man unter den Zugaben der zweiten CD eine generöse Auswahl aus seinem zweiten 1995 erschienenen Album „;Wish You Were Here Right Now“, darunter den tollen, mit TexMex-Elementen unterfütterten Country-Heuler „I Don’t See Me“ und seine eigene Aufnahme von „Walking To New Orleans“ mit Fats als Gast.
Den sentimentalen Hund ließ er damals im übrigen besonders gern raushängen, wenn Pedal Steel-Ass Ben Keith zu den Sessions des öfteren Neil Young und Willie Nelson mit ins Studio schleppte. Die bespannten deswegen ihre Gitarren dafür auch bewusst nicht mit metallenen Saiten.(Proper/Rough Trade)