Blumfeld :: Testament der Angst
Liebe & Politik: das vorläufige Vermächtnis desJochen Distelmeyer
Während kaum noch jemand unter 30 weiß, was die Hamburger Schule war, und der ehemalige Blumfeld-Bassist Eike Bohlken bei einer Stadtzeitschrift untergekommen ist, geht Jochen Distelmeyer unbeirrt weitet Begleitet vom treuen Schlagzeuger Andre Rattay, dessen Beiträge aufs Trommeln beschränkt sind, und dem ebenso ingeniösen wie zerstreuten Label-Eigner Alfred Hilsberg, der etwas richtig machte, als er 1992 „Ich-Maschitie“ von Blumfeld herausbrachte. Damals freute man sich über 20 000 verkaufte Platten, als wäre der Jackpot geknackt worden. Von „L’etat Et Moi“ und „Old Nobody“ wurden noch ein paar mehr verkauft. Heute tanzen Blumfeld der Firma Eastwest auf der Nase herum, die vermutlich gar nicht weiß, was sie da herausbringt vulgo vertreibt.
„Testament der Angst“ ist erst das vierte Album von Blumfeld, aber sie kommen einem vor wie die Aerosmith der deutschen IndependentSzene. Allerdings mit anderer Musik und anderen Texten. Distelmeyers Beschäftigung mit Formen der Popmusik macht vor der Münchner Freiheit nicht halt, berücksichtigt Prefab Sprout und Robert Palmer, aber auch die DJ-Kultur und Dylan. Das führt zu Pop-Glücksfallen wie „Graue Wolken“, dem lustig georgelten „Anders als glücklich“, dem aggressiv-panikhaften „Testament der Angst“ und dem hymnischen „Die Diktatur der Angepaßten“. Und linearen, seichten Stücken wie „Weil es Liebe ist“ und „Eintragung ins Nichts“, die eher Poeme sind als Songs und Zeilen enthalten, die manchen Vorbehalt gegenüber Distelmeyers Texten bestätigen: „Liebe ist Freundschaft, Sex und Zärtlichkeit/ Liebe ist das Ende der Ewigkeit/ Du – ich such nach einem Bild für dich/ Du – zu zeigen, was du für mich bist.“
„Der Wind“ schließlich ist das Herzstück der Platte: Distelmeyer zur akustischen Gitarre, ein bisschen Klavier, den Sänger fröstelt es. „Ich hab versucht, den Widerspruch zu leben/ Ich hab versucht, einfach ich selbst zu sein/ Es hat nicht funktioniert, es ging daneben/ Das Leben selbst scheint mir ein Fluch zu sein.“
Ein fröhliches The Cure-Zitat in „Wellen der Liebe“. Und dann, jetzt nur noch zur Bontempi-Orgel, das wunderbare „Abendlied“: „Es sitzt schon der Abend auf unserem Haus/ Altes Kind kommt nach Haus/ Die Lampen leuchten/ Der Tag ist aus.“ Das alte Kind, es ist natürlich Distelmeyer selbst Und während ich dies schreibe, klingelt das Telefon. Indie-Wigger ist dran. „Ich hab Angst vor Europa, den USA und der Nato!“ Ey, lass uns mal die Welt verändern. Gleich morgen.