Billy Joel – The Stranger (Legacy Edition)
Im Sommer des Jahres 1977 nahm der Songschreiber Billy Joel binnen drei Wochen ein Album auf. Im Spätherbst des Jahres 1977 war er ein Superstar. Zuvor hatte er in Bands wie Attila gespielt, als Bar-Pianist gearbeitet, dann vier Platten veröffentlicht; er war von New York nach Los Angeles und zurück gezogen und hatte George Martin darum gebeten, sein nächstes Album zu produzieren – um doch abzusagen, als der Beatles-Produzent mit Studiomusikern aufnehmen wollte. Joel verpflichtete Phil Ramone, der ihn bei eben jenem Konzert in der Carnegie Hall erlebt hatte, das auf der zweiten CD dieser Edition zu hören ist.
Wie stets spielte Billy Joel dann mit den großartigen Richie Cannata (Keyboards, Saxofon), Doug Stegmeyer (Bass) und Liberty DeVitto (Schlagzeug). Die Gitarristen wechselten im Studio, denn dominant war natürlich immer Joels Klavierspiel. „The Stranger“ hielt sich zwei Jahre in den amerikanischen Charts, und ein Stück nach dem anderen wurde zum Hit: „Just The Way You Are“, „Movin‘ Out (Anthony’s Song)“, „Vienna“, „Only The Good Die Young“, „She’s Always A Woman“, „Everybody Has A Dream“. Kaum war Joel berühmt, wurde er zum Kritiker-Gift und zum Watschenmann dünkelhafter Wichtigtuer.
Aber eingängigere Songs gab es selten. Schon das Muzak-Intro mit dem melancholischen Pfeifen wie aus einem billigen Film evoziert perfekt die 70er Jahre, was damals nicht so bemerkenswert schien, denn es waren ja die Siebziger. „Entfremdung“ nennt Joel gut camusmäßig das gemeinsame Sujet der Lieder. Man könnte auch sagen: Ausbruch mit Rock’n’Roll als Vehikel. Und nichts ist so sehr Ausbruch und Rock’n’Roll wie der Schulhofwitz „Come on Virginia, don’t let me wait/ Catholic girls start much too late“ in „Only The Good Die Young“. In der Suite „Scenes From An Ita-
lian Restaurant“ verarbeitete Joel seine gesamte musikalische Erziehung und ein oder zwei Dinge, die er von Frauen wusste.
Das Konzert in der Carnegie Hall, Juni 1977, enthält nur zwei Songs von „The Stranger“. Es ist nicht ganz so unfasslich umwerfend wie die – allerdings zusammengestellten – „Songs In The Attic“ aus derselben Zeit. Aber wenn die ersten Kadenzen von „Captain Jack“ („Saturday night and you still hangin‘ around…“) angeschlagen werden, wenn Joel zum elegischen „I’ve Loved These Days“ ausholt und mit der Pranke das spectorianische „Say Goodbye To Hollywood“ einleitet – mein lieber Mann, wie gern wäre man dabei gewesen! (Columbia/Sony BMG)
Arne Willander