Bill Haley

The Real Birth Of Rock’n’Roll 1946-54

Vermutlich doch nicht die wahre Geburtsstunde des Rock'n'Roll

Jetzt haben wir also wieder mal einen neuen Anlaß, darüber ein wenig zu grübeln, wann und mit welcher Aufnahme denn nun wirklich die Geburtsstunde des Rock’n’Roll schlug. Das Set mit den frühen Bill-Haley-Aufnahmen behauptet, nichts weniger als „The REAL Birth Ot Rock’n’Roll“ zu dokumentieren. Als wenn’s darüber noch keine Doktorarbeiten oder Bücher wie „What Was The First Rock’n’Roll Record?“ (Faber & Faber 1992, Autoren: Jim Dawson und Steve Propes) gäbe. Von „The Fat Man“ bis „Rocket 88“ wurden etliche Aufnahmen als allererste Rock’n‘ Roll-Single überhaupt bezeichnet. Wer der festen Überzeugung ist, daß Bill Haley letztlich der „Erfinder“ der ganzen Chose war, dem sollte man mal ein Foto aus dem famosen Buch dieses Box-Sets präsentieren. Das zeigt einen pummeligen jungen Mann mit dümmlichem La‘ chcln und Schmalzlocke in Pseudo-Cowboy-Outfit unter dem Künstler-Pseudonym „The Rambling Yodeler“ auf dem Cover des 1946 erschienenen Songbook „Bill Haley’s Down Home Melodies“ zeigt. Ich schätze mal, der würde glatt vom Glauben abfallen.

Daß Rock’n’Roll ein unehelicher Bastard – aus der unheiligen Verbindung von Blues und Country fef Western war, wurde ja schon öfters behauptet. Charlie Gillett nennt diese Musik in seinem Maßstäbe setzenden Buch gleichen Titels aber ausdrücklich „The Sound Of The City“ und führt als frühe Beispiele „Good Rockin‘ Tonight“, „Rock All Night Long“ und „We’re Gonna Rock“ an, die alle vor Bill Haleys „Crazy Man Crazy“ erschienen. Bevor er sich 195 J Stadt für Stadt langsam mit dieser Single in die „Billboard“-Hitparade hocharbeitete, war er viele Jahre durch die Provinz getingelt, um seinen Unterhalt zu verdienen. Fast hätte ihm damals ein gewisser Ralph Marterie noch die Show gestohlen. Den stellte man bei der Major Company Mercury Records ab, eine Cover-Version von „Crazy Man Crazy“ aufzunehmen, die sich ziemlich notengetreu ans Original-Arrangement hielt. Mercury hatte den ungleich schlagkräftigeren Vertrieb zwischen New York und Los Angeles, und solche Cover-Versionen wurden – wie diese manchmal auch preiswerter angeboten. Billy Haley & The Comets machten trotzdem das Rattenrennen in dem Fall. Erst da wurde eine andere Major Company – Decca – auf sie aufmerksam, und von da an sollte es für die Band erstmals steil bergauf gehen mit der Karriere.

Viel Rock V Roll hatten sie vorher jedenfalls nicht geübt, wie dies Box-Set beweist. Die Namen, unter denen Haley auftrat, sprechen Bände: Bill Haley and The Four Aces Of Western Swing.Johnny Clifton And His String Band, Bill Haley And The Saddlemen, The Range Drifters, The Down Homers. 1944/45 soll er so die wie immer bei Bear Family penibelst recherchierte Dokumentation solo als Yodelling Bill Haley aufgetreten sein. Nur wurde davon von diesen Soloauftritten wohlgemerkt der Nachwelt niemals etwas auf irgendeinem Tonträger überliefert.

Zu den frühesten Aufnahmen hier gehören Azetate mit den Four Aces Of Western Swing nicht nur Aufnahmen in besagtem Stil, sondern auch früher Tex/Mex wie die „Red River Valley-Version so arrangiert, traditionelles Liedgut wie „My Bucket’s Got A Hole In It“ und Songs wie ,A Yodeler’s Lullaby“, bei denen er sich als so etwas wie die männliche Lolita der damaligen amerikanischen Popmusik gab. Ein Rundfunk-Mitschnitt vonAnfangi94Ö mit den Downhomers bietet das berühmte „Cool Water“ und mehr Western Swing, aber auch das angeblich direkt aus der Schweiz frisch importierte „She Taught Me How To Yodel“. Denn man spielte skrupellos querbeet, was die Hörer des jeweiligen Senders (angeblich oder tatsächlich) verlangten. Auch beiden Studioaufnahmen aus den späten 40er Jahren mit den Four Aces Of Western Swing wies so etwas wie „Yodel Your Blues Away“ sicher nicht auf künftigen Rock’n‘ Roll-Ruhm hin. Viel Rockabilly-Revolte ist sogar in der Cover-Version von „Rocket 88“ immer noch nicht zu hören, dafür reichlich Country-Elemente und Hawaii-Folklore. Ein Kompromiß vermutlich, denn zu dem Zeitpunkt (1951) wollten Haley und seine Saddlemen wohl die Hörerwartungen der Fans nicht enttäuschen. Erst „Rock The Joint“ wurde ein Jahr später sein Coming-out. „Icy Heart“ war noch einmal klassische Country-Ballade a la Hank Williams gewesen. Aber dann kamen „Rocking

Chair OnThe Moon“, „Real Rock Drive“ und „Crazy Man Crazy“. Der Mann hatte sich völlig neu erfunden! Und mit dem „One for the money, rwo for the show…“-Intro zu „What’cha Gonna Do“ lieferte er die Initialzündung zu einem der berühmtesten Rock ’n’Roll-Klassiker.

Von diesen letzten Aufnahmen, die Haley & seine Comets für das Indie-Label Essex machten, ist so gut wie nichts an Dokumentation erhalten, da war auch nachträglich nichts dem Vergessen zu entreißen. Aber das von Rollercoaster Records lizenzierte Material konnte man zumindest sehr ansprechend neu überspielen. (bear family)