Bernd Begemann & Die Befreiung
Ich erkläre diese Krise für beendet
Jochen Distelmeyer, der laut Eigenaussage als „Bernd Begemann-Imitator auf dem Weg zu sich selbst“ begann, wird heute groß im Feuilleton besprochen, während das einstige Vorbild unaufhörlich durch die kleinen Clubs der Republik tingelt. Aber da ist er auch richtig aufgehoben. Weil seine Lieder nicht in der Schreibstube gehört werden wollen, sondern Körperkontakt brauchen. Begemann ist eine Rampensau ohne Angst und ohne Scham. Keines seiner zahlreichen Alben kann bei seinen Auftritten mithalten. Das gilt auch für das neue Werk mit dem zweifelsohne schönen Titel „Ich erkläre diese Krise für beendet“, der so anmutet, als wolle Begemann anknüpfen an „Rezession, Baby“, eine seiner besseren Platten, die nun auch schon 16 Jahre alt ist.
Doch die Zeiten haben sich seitdem geändert, jedes Phänomen ist schon zum Klischee geronnen, bevor sich die Künstler mit ihren sogenannten „genauen Alltagsbeobachtungen“ ihm annehmen können. Wenn Begemann seine Zeitgeistkommentare zu Prenzlauer Berg und Friedrichshain schmettert, über junge Eltern und Firmenphilosophien singt, hat man das Gefühl, einen ziemlich alten Witz zum x-ten Mal zu hören. Da hilft auch dann auch die gefällig aufspielende Begleitband Die Befreiung nicht weiter.
Doch das ist nur die eine Hälfte von „Ich erkläre diese Krise für beendet“, denn da sind auch wieder die schwärmerischen Jungs-mit-großen-Augen-Lieder wie „Die neuen Mädchen sind da“, das Erstsemesterinnen als Gottesbeweis feiert, die Trennungssongs wie das bittere „Danke für den Schmerz“, die tragikomischen Beziehungskisten wie „Ihr Geheimnis ist sicher bei mir“ und vor allem ist da der musikalisch und lyrisch größte Moment des Albums „Alle deine Netzteile“, der zeigt, dass auch hinter all dem zeitgenössischen Tinnef, der einen täglich umgibt und aufreibt, noch ein Herz stecken kann. Man will es schlagen hören. In den kleinen engen Clubs der Republik.
Maik Brüggemeyer