Balbina
Fragen über Fragen
Die Berlinerin macht Pop, wie ihn sonst niemand macht
Spitznasig und frostrot steht Balbina da, ein pulsierendes Herz in den behandschuhten Händen, über den Schultern ein weißer, wie von Mies van der Rohe gefalteter Steppmantel. „Ich mache keine Lieder über Liebe“, singt sie, begleitet von einem vertrackten Beat und einem bulgarischen Sinfonieorchester, „kein Lied über tiefe Gefühle.“ Zehnmal wechselt sie im Video zu „Die Regenwolke“ das Kostüm, dreimal die Haarfarbe. Auch darin erinnert Balbina an Björk. Und an Klaus Nomi.
Statt Lieder über die Liebe schreibt die 33-jährige Berlinerin Lieder über Alltäglichkeiten, über das Milchglas und den Haken, den „Trübsaal“, aber auch das „Sinnlos“ – 15 Lieder, ein Doppelalbum, alle widmen sich einem Begriff im Singular. Sie verhilft jedem Wort zu seinem Recht. Und je näher sie die Wörter anschaut, desto fremder schauen sie zurück.
Sirupfrei und entkitscht
„Über das Grübeln“, Balbinas Debütalbum von 2015 (den ersten Versuch als Bina nicht mitgerechnet), war von hüpfender Rhythmik geprägt, von ihrem leptosomen Alt, der exakten Betonung, der fast mathematischen Anordnung ihrer Sätze, dem Flow aus scheinbar naiven linguistischen Assoziationsketten. Hier nun lässt Balbina ihre Stimme Neues probieren: Vibrato, Scat, Jazzphrasen, Tremoli, Seufzer. Nie als Selbstzweck, nie zur Demonstration oder gar zum Ausleben ihrer Fähigkeiten.
Nicht nur ihre Outfits, auch ihre Stimme unterwirft Balbina ihrer Design- und Inszenierungsstrenge. Kurz freidrehen darf nur das Orchester, ganz am Ende von „Der Trübsaal“ – da klingt es ein paar Herzschläge lang fast atonal. Überhaupt das Orchester! Das hatte noch gefehlt. Es macht keine Pause, spielt sirupfrei und weitgehend entkitscht so dominant wie dienlich, ein erstaunliches Kunststück. Obgleich weicher, chansonhafter, popradiokompatibler, bleibt die Musik auf „Fragen über Fragen“ auf faszinierende Weise zugleich geschmeidig und sperrig wie Balbinas Lyrik. „Ich will eine Diktatur in meiner Musik/ Egal wie eine Band das sieht“, singt sie.
Pop, wie ihn sonst niemand macht. (Four/Sony)