Anomalisa :: Regie: Charlie Kaufman
Niemand inszeniert die Neurosen seiner Figuren so originell wie der Autor von „Being John Malkovich“
Ein Motivationscoach ist in Charlie Kaufmans dauerdepressivem Kino zwangsläufig eine tragikomische Erscheinung. Äußerlich macht der Bestsellerautor Michael Stone nicht den Eindruck, als könnte er seine Mitmenschen aus den Sitzen reißen. Seine routinierten Präsentationen bestehen aus Phrasen, seine apathische Körpersprache signalisiert innere Kapitulation. Und auch privat gibt er kein glänzendes Vorbild ab. Er lebt in einer lieblosen Ehe mit Frau und Kind, zu denen er jeden emotionalen Bezug verloren hat. Seine Vortragsreisen sind für ihn ein willkommener Rückzug vom Alltag, im Flugzeug und in anonymen Hotelzimmern kann er wenigstens einen Moment bei sich selbst sein. Doch auch wenn er allein ist, rattern in einer wilden Kakofonie die Stimmen seiner Mitmenschen durch seinen Kopf.
So beginnt „Anomalisa“, die zweite Regiearbeit von Drehbuchautor Charlie Kaufman, der mit seinen eigenen Filmen hartnäckig gegen den Nimbus des Wunderkinds arbeitet.
Kaufmans Drehbücher für Spike Jonze („Being John Malkovich“, „Wo die wilden Kerle wohnen“) und Michel Gondry („Vergiss mein nicht!“) waren versponnene, fantasievolle Reisen ins Unbewusste, die mitunter haarsträubende Volten schlugen. Seine eigenen Filme dagegen lassen erahnen, wie die Rollen in diesen Kooperationen verteilt waren. Kaufman ist eher für das Tiefgründige, die Erkundungen der Conditio humana zuständig. „Anomalisa“ wirkt wie schon das verschachtelte, eschereske Kopfdrama „Synecdoche, New York“ auf den ersten Blick wie ein mattes Porträt einer gescheiterten Existenz. Kaufmans Drehbücher zeichnet aus, dass die Unzulänglichkeiten seiner Figuren und ihre Zweifel immer wieder Türen zu einem neuen Bewusstsein aufstoßen, in dem selbst das trübsinnige Grau in Grau der Interieurs plötzlich einen wundersamen Glanz annimmt.
Für Michael Stone ist dieses Licht die Angestellte Lisa, die plötzlich wie eine Fügung des Schicksals in einem Tagungshotel in Cincinnati vor ihm steht. Lisa entpuppt sich als eine Art Groupie des Selbsthilfegurus, verkennt aber die Diskrepanz zwischen dem Autor von „How May I Help You To Help Them?“ und dem zur Selbsthilfe unfähigen Michael. Dieser wiederum sieht in der sanften, unsicheren Frau etwas, das seinem Leben vor langer Zeit abhandengekommen ist. Kaufman versucht diese Besonderheit, für die Michael seine neue Bekanntschaft mit zärtlicher Hingabe Anomalisa nennt, zu ergründen – in einer einzigen Nacht in einem anonymen Hotelzimmer in einer fremden Stadt. Zwei verlorene Seelen, die innerhalb weniger Stunden nachholen müssen, was sie ein Leben lang versäumt haben.
Auf dem Papier lesen sich Kaufmans Filme etwa so unterhaltsam wie Woody Allen auf dem Höhepunkt seiner Psychoanalyse-Phase Ende der Siebziger. Im Unterschied zu Allen findet Kaufman aber immer wieder einmalige Bilder, um die Neurosen seiner Figuren zu erzählen. In „Synecdoche, New York“ verlor der von Philip Seymour Hoffman gespielte Theaterregisseur so gründlich den Bezug zur Realität, dass er anfing, in seinem Kopf eigene Welten, Kulissen in Kulissen zu erschaffen. „Anomalisa“ lebt von einem anderen Kunstgriff, der ebenfalls auf eine Form des Theaters verweist: Michael und Lisa werden von Puppen dargestellt. Ihre Bewegungen sind eckig, ihre Mienen fast regungslos. Umso erstaunlicher ist, welche menschlichen Regungen Kaufmans Dialoge seinen Figuren entlocken.
Dass Michael und Lisa auch als Menschen „unfertig“ sind, veranschaulicht der für die Animationen verantwortliche Koregisseur, Duke Johnson, durch ein einfaches, rührendes Feature: Die Gesichter der Figuren bestehen aus einzelnen Platten, deren Fugen sich deutlich sichtbar abzeichnen. Schon Kaufmans Arbeit mit Jonze (und den Jim Henson Studios) an der Kinderbuchverfilmung „Wo die wilden Kerle wohnen“ zeigte, dass Puppen eine ganz eigene Verletzlichkeit innewohnt. Michaels und Lisas limitiertes Repertoire aber ist herzzerreißend – selbst noch beim Sex auf dem Hotelbett.
So ist die Künstlichkeit der Inszenierung – außer Michael und Lisa sprechen alle Figuren mit derselben Stimme – Kaufmans skurrilem Humanismus in keiner Situation abträglich. Die Stop-Motion-Tricks fungieren nicht als Verfremdungseffekte, sondern lenken die Aufmerksamkeit auf die inneren Konflikte der Figuren. Damit fügt sich „Anomalisa“ schlüssig in Charlie Kaufmans Gesamtwerk ein, das unter den aktuellen Produktionsbedingungen in der US-Filmbranche selbst eine Anomalie darstellt. Den Beleg hierfür liefern die Schlusscredits, die einen nicht unbeträchtlichen Teil der 90 Minuten beanspruchen: „Anomalisa“ wurde mit einer Crowdfunding-Kampagne finanziert, 1.070 Spender haben dieses Wunder von einem Film ermöglicht.