Anjelica Houston :: Das Mädchen im Spiegel
In ihren Memoiren verbreitet Anjelica Houston den esoterischen Sound von Duldung und Fügung
Anjelica Huston gehört zu den Menschen, die ihr Leben, ja ihre Leben nach Liebe, ja Lieben einteilen. Sie könnte schreiben: „Mein altes Leben endete und mein neues begann, als ich 1969 den ersten Film mit meinem Vater drehte.“ Oder: „Mein altes Leben endete und mein neues begann, als ich 1994 meinen ersten eigenen Film drehte.“ Aber Huston schreibt: „Mein altes Leben endete und mein neues begann neben einem Gepäck-band im Los Angeles International Airport im März 1973. Genau dort trennte ich mich, im Alter von 21, von Bob Richardson, einem verwegenen und provokativen Modefotografen, der 24 Jahre älter war als ich und mit dem ich vier Jahre eine stürmische Beziehung geführt hatte.“ Und dann kam Jack Nicholson, der 14 Jahre älter als sie ist und mit dem sie 16 Jahre lang eine stürmische Beziehung führte. Die beiden küssten sich, und er schlug sie, und 1986 spielten sie gemeinsam in John Hustons Film „Die Ehre der Prizzis“, Anjelica gewann einen Oscar für die beste Nebenrolle.
Die wichtigste Beziehung blieb aber die zu Vater John, dem Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler, von dem „Die Spur des Falken“, „Der Schatz der Sierra Madre“, „Asphalt-Dschungel“, „African Queen“, „Moby Dick“, „Misfits“, „Unter dem Vulkan“ und mehr als 30 andere Filme stammen, der in seinem Leben nichts anderes tat als zu reisen, Drehbücher zu schreiben, Filme zu drehen, Alkohol zu trinken und Frauen zu lieben, denen er von seiner Sekretärin die Aufträge während seiner Abwesenheit übermitteln ließ. John Huston war einer der stoischen, gegerbten, hartgesottenen und unnachgiebigen Männer von Hollywood, er war mit John Wayne, John Ford, Orson Welles und Howard Hawks befreundet, und er hasste es, wenn am Set getrunken wurde. 1962 inszenierte er „Freud“ in München, und Anjelica begegnete im Hotelzimmer ihres Vaters, „in trübem Licht“, einem Mann. „Der Mann weinte.“ Es war der zerstörte Montgomery Clift, der ohne Unterbrechung soff und Medikamente nahm, nachdem ein Unfall 1956 sein Gesicht entstellt hatte. Clift war sehr empfindlich und sehr homosexuell und ging ohne seine Schauspiellehrerin nirgendwohin, und er stritt immer wieder mit John Huston, der Method-Acting für eine Krankheit hielt. „Eine zitterige Umarmung umhüllte mich. Der Mann roch nach Alkohol. ,Geh in dein Zimmer‘, sagte Dad zu mir. ,Es ist schon spät.‘ Als ich im Bett lag, erfüllten mich Mitleid und Sorge mit dem schönen bärtigen Fremden.“ Anjelica war elf Jahre alt.
Die Kindheit verbrachte sie in Irland und England, umsorgt von Personal, immer einsam, eine kränkelnde, fremdelnde amerikanische Mimose. Die Mutter, Enrica Soma, verließ die Familie 1969 und starb im selben Jahr bei einem Autounfall; John Huston heiratete 1972 zum fünften Mal und zog nach Mexiko, während seine Tochter erste Erfolge als Model hatte. In Los Angeles entging Anjelica nicht lange Jack Nicholson. Die Erinnerungen an diese Liaison sind die eindrücklichsten und traurigsten dieser länglichen Autobiografie, die in den USA in zwei Bänden erschien: Als Nicholson in Oregon „Einer flog über das Kuckucksnest“ drehte, las Anjelica in der Zeitung von seiner Oscar-Nominierung, kaufte Champagner und gelbe Gladiolen und fuhr zum Drehort, wo Nicholson nach einem Vormittag in der Psychiatrie finster zum Wohnwagen kam. Anjelica gratulierte, doch er winkte ab: „Ich hab’ keine Zeit für so was.“ Anjelica weinte viel. Nach der Trennung schickte er ihr ein Armband mit Diamanten und Perlen, das Frank Sinatra angeblich einst Ava Gardner geschenkt hatte: „Dies sind Perlen von Deinem Schwein. Mit den besten Wünschen für die Feiertage – Dein Jack.“
Kleider (und Pferde) waren immer große Themen für die Schauspielerin. 1990 war sie Mitglied der Jury beim Filmfestival in Cannes – Bernardo Bertolucci hatte sie berufen, der natürlich ein Freund von Nicholson war. „Ich machte mich sofort daran, die 14 Tage im glamourösen Süden Frankreichs modisch zu überstehen.“ Als sie einen Film mit der indischen Regisseurin Mira Nair drehte, bewunderte sie deren „Parfüm, ihren Schmuck, ihre Saris und Tücher, ihre anmutigen Bewegungen und ihre Körperhaltung“ – nur ihren Film nicht. „Während der Arbeit merkte ich, dass unser Stil nicht ganz der gleiche war und dass ich die Dinge nicht so machen konnte, wie sie es gern gehabt hätte.“ Aber: „Keine andere Frau besaß das Talent von Miras Mutter, für jede Gelegenheit den passenden Sari auszuwählen, sie war fast schon ein Chamäleon.“
1992 heiratete Anjelica den Skulpturenkünstler Robert Graham, mit dem sie kommod in Santa Monica lebte, während die Rollen und die Filme kleiner wurden. Graham starb im Jahr 2008: „… und die Sonne spiegelte sich auf dem Meer hinter Santa Monica und tauchte Bob in goldenes Licht. Es war eine so wunderschöne Szene, dass wir tatsächlich zu klatschen begannen. Bob war von uns gegangen.“ Hustons, sagen wir: Reflexionen sind manchmal schwer erträglich. „Diese Bindungen, diese blinde Zuneigung! Diese Liebesbeziehungen! Warum weinen wir, warum müssen sie uns verlassen? Wann werden wir ihnen nachfolgen? Ist das Leben wahrhaftig bedeutungslos?“ Immerhin: „Das Fernsehen war sehr gut zu mir.“ Zuweilen müsse sie an eine irische Redewendung denken: „Wenn man auf der Jagd vor einem Hindernis steht, muss man erst sein Herz hinüberwerfen, bevor man springt.“
Kürzlich besuchte Anjelica Huston ein Medium. „Sie sagte, Dad sei glücklich im Jenseits, und im Himmel dürfe man trinken.“