Andrew Bird
„Noble Beast“
Es wird einem jedes Mal Angst und Bange, wenn Andrew Bird ein neues Album veröffentlicht. Der musikalischen Potenz wegen, der scheinbar grenzenlosen stilistischen Möglichen, der künstlerischen Noblesse. Bird hat ein erfolgreiches Jahr hinter sich, mit vielen Konzerten, bemerkenswerten Verkaufszahlen und einem Heimspiel in Chicago, zu dem 14 000 (!) Menschen kamen.
Das ist erstaunlich und rückt Bird in die Nähe von Musik-Adligen wie Rufus Wainwright, denen das Publikum ohne Scheu ins Elaborierte folgt. Denn Birds letzts Album, „Armchair Apocrypha“, war keine leichte Kost, wenn auch die Strukturen eine Spur herkömmlicher wirkten. Das neue Werk, „Noble Beast“, ist ein weiterer Hakenschlag, weil es sich an den früheren, luftigeren Soloalben dieser Karriere orientiert.
Die Zutaten sind bekannt. Der diplomierte Geiger Bird geigt und spielt akustische Gitarre, erfindet unkonventionelle Melodien, in die sein musikalischer Erfahrungsschatz- der von Klassik und Jazz über europäische Folklore und traditionelle Americana bis zum Pop reicht- Eingang findet. Die rhythmischen Strukturen werden oft mit Händeklatschen bzw. undefinierbaren Geräuschen erstellt. Allerdings hat ja auch die Elektronik in diesem Repertoire längst einen Platz bekommen.
Die Songs sind insgesamt edel, formal, etwas höfisch gar, gleichzeitig aber warm und wunderschön. „Oh No“ beginnt mit asiatisch anmutenden Streichern, Bird pfeift wie immer ein bisschen. „Masterswarm“ klingt anfangs wie die elegante Variante einer Thom-Yorke-Vision, dann setzt ein lateinamerikanischer Rhythmus ein. Bird singt: „So they took me to the hospital/ They put my body through a scan/ What they saw there would impress them all/ For inside me grows a man/ He speaks with perfect diction/ As he orders my eviction/ As he acts with more conviction than I.“ Noch bessere Diktion? Für das Reimen von obskuren Fremdwörtern ist Bird bekannt, nun kommt auch noch poetische Schönheit hinzu.
Gelegentlich überrascht ein Lied mit Schlagzeug und E-Gitarre, die Arrangements werden dann plötzlich sehr gegenständlich, aber nicht minder geschmackvoll. Überhaupt ist diese Platte eine weitere Übung in gutem Geschmack, eine Höchstleistung in Akkuratesse und künstlerischer Eleganz, die ohne Snobismus und Überheblichkeit auskommt. Mag sein, dass die Lieder manchmal eine Spur zu sehr nach Handwerk und Kompositionslehre klingen. Doch man sucht auf dieser Platte keine Höhepunkte. Man durchschreitet sie wie eine Ausstellung. (Bella Union/Cooperative)
Jörn Schlüter