„Aliens Expanded“: Vier Stunden Wunder und Magie

Die Star-gespickte Dokumentation „Aliens Expanded“ erzählt von der Entstehung eines der besten Actionfilme aller Zeiten

Gespräche über das beste Sequel aller Zeiten, über eines, dass das Original noch übertrifft, sind immer leidenschaftlich. Man erzielt selten Einigung. „Der Pate: Teil 2“ wird dann genannt, ebenso „Das Imperium schlägt zurück“, manche sagen sogar: „Blade Runner 2049“. Übertrumpft „Aliens“ seinen Vorgänger „Alien“? Sicher ist es die mutigste all dieser Fortsetzungen. Sie ist die einzige, die in einem anderen Genre beheimatet ist. Sie ist Horror, natürlich, immer noch. Aber sie ist mehr Action als Horror.

Oder, wie Novelization-König Alan Dean Foster in „Aliens Expanded“ sagt: Teil eins war Atmosphäre. Teil zwei ist Action.

Mit „Aliens Expanded“ legt der Journalist und „Alien Vault“-Buchautor Ian Nathan ein anachronistisch anmutendes, vierstündiges Making-Of von James Camerons Meisterwerk von 1986 vor. Anachronistisch, weil es so eine Mammutarbeit heute, im Zeitalter stark schwindender DVD- und Blu-ray-Absätze, gar nicht mehr geben dürfte.

Nathan hat nahezu alle bekommen

Eine eigens auf physischem Datenträger herausgebrachte Doku wie „Expanded“ wäre einst als Disc 3 des Bonus-Contents eines Spielfilms erschienen (und vielleicht nie angesehen worden) und erinnert an den DVD-Craze der frühen Nullerjahre, als mit Boxsets wie zu den „Lord of the Rings“ Rekordumsätze erzielt wurden, vollgepackt mit zig Extra-Stunden oder eigens editierten Director’s Cuts.

James Cameron gibt selten Interviews. Sigourney Weaver noch seltener. Es spricht für den Ruf von Regisseur und Autor Ian Nathan, sie für diesen Film über die Entstehung von „Aliens“ als Talking Heads gewonnen zu haben.

Überhaupt: Nathan hat nahezu alle bekommen. Alle, die noch leben. Neben Cameron und Weaver sind das u.a. Gale Anne Hurd, Michael Biehn, Jenette Goldstein, Paul Reiser, Carrie Henn, Lance Henriksen, William Hope, Mark Rolston. Namen, die bis heute vor allem mit „Aliens“ assoziiert werden. Keine andere „Alien“-Doku, auch keine andere Cameron-Doku vereint diese (Wo-)manpower.

Trailer von „Aliens Expanded“:

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Bill Paxton, James Horner, Al Matthews, Stan Winston … wären sie nicht verstorben, Nathan hätte wahrscheinlich auch sie bekommen. Die einzigen (aus der Solaco-Marines-Crew), die fehlen, sind Tip Tipping und Trevor Steedman. Was die bitteren Fan-Witze bestätigt, dass ihre Figuren der Privates Crowe und Wierzbowski schon im Film nur einmal zu sehen waren und dann komplett vergessen wurden. Vielleicht wollten beide hier nicht mitspielen. „Where’s Bowski?“ lautet ein gehässiges Wortspiel.

Nur gemeinsam oder zumindest in Paarungen ist die „Aliens“-Crew nicht zu sehen. Vielleicht führten die Einzel-Interviews aber auch zu besseren Ergebnissen. Sigourney Weaver, die bis heute zum Cast von Cameron-Filmen gehört, kritisiert ihren Regisseur durchaus. Ihr Unmut über die verkürzte Schnittfassung, in der Ellen Ripleys Mutterdasein unerwähnt bleibt, kommt auch hier zur Sprache. Weaver erfuhr vom Cut nichts, wurde davon bei der Kino-Premiere 1986 überrascht.

„Aliens“: der bessere Vietnamkriegsfilm

Für ihre Darstellung erhielt Weaver eine Oscarnominierung als „Beste Hauptdarstellerin“, als erste Frau in einem Sci-Fi-Film. Es war auch das erste Mal, dass eine Darstellerin oder ein Darsteller nicht für die erste, sondern die zweite Darstellung derselben Rolle eine Nominierung erhielt.

Insgesamt sieben Nominierungen erhielt „Aliens“ von der Academy und bekam am Ende zwei Auszeichnungen: „Beste Spezialeffekte“ und „Bester Ton-Schnitt“. Der Abräumer des Abends war Oliver Stones „Platoon“, ein Vietnamkriegsfilm. Dabei war Camerons „Aliens“ der viel drastischere Vietnamkriegsfilm. Dazu später mehr.

Das Studio hätte Cameron gern als Regisseur von „Alien 3“ gesehen. Aber das wollte er nie mehr sein: a director for hire, wie er es bei „Aliens“ war. Von nun an nur noch eigene Projekte.

Außerdem gibt es in „Expanded“ kluge Neueinschätzungen vom „Aliens“-Selfmade-Experten Derek Defoe, der mit „Alien Theory“ auf YouTube einen Deep-Dive-Vlog in die Xenomorphen-Welt betreibt, oder Ian Nathans „Empire“-Filmmagazin-Kollegen James Dyer, der, wie so viele Autoren seines Magazins, ebenso enthusiastische wie introspektive Fanboy-Reaktionen verbalisieren kann.

„Alien Theory“ auf YouTube:

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„Aliens Expanded“ ist eine herrliche Hommage. Man will alle vier Stunden über die Entstehungsgeschichte des größten Action-Films aller Zeiten sehen, in einem Rutsch. Danach will man die 158 Minuten von „Aliens“ sehen. Es ist weniger das Was, das begeistert. Viele Produktionsnotizen sind bekannt. Es geht um das Wie. Wie die Macher des Films über die Entstehung reden (Nathan zeigt zum Glück kein Archivmaterial mit alten Interviews).

Lance Henriksen sagt: „After a week of work we knew we had something“.

William Hope sagt: „This movie was beyond adjectives, because it was an assault.“

Zu den bereits vielfach ausgebreiteten Storys gehört jene, die Ian Nathan selbst erzählt. Die Dollarzeichen-Anekdote. Als James Cameron seinen Pitch für die Fortsetzung vorstellte, inszenierte er vor dem Produzentenboard ein Schauspiel. Alle saßen vor einer weißen Tafel, gespannt. Cameron sagte nichts. Er schrieb das Wort „Alien“ auf die Tafel. Dann fügte er ein „S“ hinzu. „Aliens“. Dann strich er das „S“ durch, von oben nach unten. „Alien$“. Die Produzenten verstanden. Cameron war engagiert. Nathan verfrachtet diese bekannte Notiz zum Glück in die „Extra“-Sektion geschnittener, gesondert wählbarer Doku-Szenen (ja, „Expanded“ ist damit tatsächlich noch länger geworden).

Teepausen der „Aliens“-Crew kosteten Cameron Zeit und Geld

Es verschafft großartige Gefühle, James Cameron all die Geschichten, über die schon zigfach gelesen wurde, endlich mal mit eigener Stimme erzählen zu hören. Die Dreharbeiten in den Londoner Pinewood Studios waren für den jungen Kanadier, der herrisch auftreten konnte, schwer. Die britische Crew, die Ridley Scott und dessen „Alien“ verehrte, hielt nichts vom „Yank“, der eigentlich Kanadier ist. Und der Schöpfer der 1979er-Kreatur, der Schweizer Surrealist H.R. Giger, war sauer auf das „Aliens“-Produktionsteam, weil er nicht konsultiert wurde. Fair enough, die Monster in „Aliens“ sehen nicht so furchterregend und ekelhaft aus wie jenes aus Teil eins.

James Cameron wollte die mürrische Truppe mit einer Vorführung seines Films „The Terminator“ für sich und seine Vision einnehmen. Aber keiner blieb am Ende des Drehtages, um sich das anzusehen. Zu Beginn der „Terminator“-Dreharbeiten war Cameron 29 Jahre alt. Bis heute ist Cameron damit Teil einer exklusiven Riege von Hollywood-Regisseuren, die einige ihrer bedeutendsten Werke als Unter-30-Jährige drehten. Orson Welles, Steven Spielberg, John Carpenter, Joel und Ethan Coen, M.Night Shyamalan, Paul Thomas Anderson, Christopher Nolan, Damien Chazelle.

Pünktliche und extensive Teepausen der „Aliens“-Crew kosteten Cameron Zeit und Geld, und es kam zu seiner berüchtigten Eskalation mit der „Tea Lady“. Alle standen Schlange bei der Tea Lady. James Cameron dann irgendwann auch, und seine Kiefer mahlten. Dann die Eskalation. Aber schauen Sie das selbst, in „Aliens Expanded“.

„Der große Ridley Scott“, sagt Cameron, die Finger zu Anführungszeichen in die Luft gehoben

Auch auf Ridley Scott kommt Cameron zu sprechen, dessen langen Schatten er anfechtet. In den Pinewood Studios redeten alle nur von Scott. Der nach „Alien“ und bis 1985 ,wohlgemerkt, zwei Flops in Folge kassierte: „Blade Runner“, dessen Klassikerstatus seiner Zeit noch nicht errichtet war, sowie das Märchen „Legende“. Auch der Tom-Cruise-Streifen wurde, wie„Alien“, in den Pinewood-Studios gedreht – und ein noch größerer Misserfolg als „Blade Runner“.  Bei den Oscars 1987 sahen Scott und Cameron sich wieder, „Legende“ erhielt nur eine einzige Nominierung, für das „Beste Make-Up“, angerührt von Rob Bottin. „Der große Ridley Scott“, sagt Cameron nun, die Finger zu Anführungszeichen in die Luft gehoben. „Er hatte bis dahin gerade mal eine Handvoll Filme gedreht. Er war nicht Hitchcock!“.

Der Umgang mit den anderen „Alien“-Arbeiten, zumindest den erwähnten, ist in „Aliens Expanded“ dennoch fair. „Alien 3“, das merkt Journalist James Dyer an, ist in einer Hinsicht der gelungenste: Er beschreibt den einzigen vollkommenen Charakterbogen der Figur Ellen Ripley. Oder, wie es Spunkmeyer-Darsteller Daniel Kash formuliert: „‘Alien‘ behandelt die Geburt, ‚Aliens‘ das Leben und ‚Alien 3‘ den Tod“.

Auch Neil Blomkamps nie entwickelter Alien-Film wird angerissen (wenn auch nur in der „Extras“-Sektion), der, abgesehen vom Zuspruch durch Weaver und Biehn, nie über eine Storyboard-Phase hinausgekommen war.

Sehenswerter Geek Stuff

„Expanded“ zeigt auch sehenswerten Geek Stuff, von dem der Autor dieser Zeilen nicht weiß, ob er je zuvor an die Öffentlichkeit gelangt war. Etwa eine Frontal- und Komplettaufnahme des Aliens, das hinter dem Mädchen Newt aus dem Wasser auftaucht. Aber auch das: Am besten selbst entdecken.

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„Aliens“ wurde unter dem Eindruck der zunehmenden Macht der amerikanischen „Evil Corporations“ geschrieben. Der Kernenergie-Unfall von Three Mile Island lag nur wenige Jahre zurück. Auch die „Aliens“-Analogien zum Vietnamkrieg sind bekannt und waren von James Cameron forciert. Eine technisch höher entwickelte Militärmacht wird nach Eindringen in fremdes Terrain mit einem asymmetrisch verteilten, versteckten Feind konfrontiert, der seine Welt vollends kontrolliert. Am Ende geht es den Marines nicht mehr um Sieg, sondern ums Überleben der gesamten Einheit – bis zur Selbstevakuierung.

„Es war die revisionistische Reagan-Ära“, sagt Novelization-Autor Alan Dean Foster. Rambo gewann in „Rambo 2“ (co-verfasst von Cameron) den Vietnamkrieg zehn Jahre nach dessen Ende. „Let’s get back and finish the job“, war die Devise.

CGI hat die Kontrolle über seine „Avatar“-Filme übernommen

Was waren die Mitt-Achtziger doch für eine aufregende Zeit für Spezialeffekt-Filme. James Cameron verweist darauf, dass die Begrenzungen von Practical Effects gegenüber den heutigen Computereffekten unzählige Weniger-ist-mehr-Vorteile boten. „Heutzutage“, sagt der Regisseur, „würden sich die Alien-Königin und Ripley in ihrem Frachtlader durch die Hallen schmeißen, an Wänden abprallen und wieder frontal auf allen Vieren landen“.

Denn auch das ist „Aliens“, und das ist erstaunlich für einen Action-Film, wie es ihn nie zuvor gab: Vieles findet eben doch nur in der Imagination statt. Oder zumindest im Dunkeln. James Cameron offenbart mit seiner Kritik an den heutigen Computerwizards auch, dass er mittlerweile selbst zum Gefangenen seiner Science-Fiction-Epen geworden ist. CGI hat die Kontrolle über seine „Avatar“-Filme übernommen. Alles darin ist dauerhaft in Bewegung, jenseits jeder Bedingungen der Schwerkraft.

Auf der „Aliens Expanded“-Seite gibt es allerhand Merchandise. Darunter ein Digital-Bundle (17,99 $) mit dem Film + Film-Extras, Digital-Booklet sowie James Horners Score.

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