Johannes Schmid :: Agnes
Agnes ist eine Wahrheitsucherin, die auch die Schönheit will. Als Quantenphysikerin forscht sie nach der Möglichkeit perfekter Symmetrie. Könnte das auch in einer Liebesbeziehung gelten? Von Anfang an umgibt Agnes in Johannes Schmids Film ein Hauch des Rätselhaften. Still und tiefsinnig, zugleich leicht autistisch und nicht ohne innere Zwänge scheint sie zu sein – etwas aus der Zeit gefallen, ein wenig aber auch wie gar nicht von dieser Welt, dann aber auch wieder entschlossen und spontan. Als sie den Schriftsteller Walter kennenlernt, begegnet beiden gleich beim ersten Date das Absolute in Form einer Passantin, die auf der Straße tot umfällt. Das scheint ein Zeichen zu sein. Nach dem Abschied steigt sie zu ihm ins Taxi, und fortan sind sie ein Paar. Er solle über sie schreiben, bittet Agnes, und als er es tut, ist sie narzisstisch wie existenziell berührt, er wiederum hat endlich eine Muse gefunden. Doch sein poetischer Entwurf entwickelt bald eine ungeahnte Eigendynamik und lässt die Beziehung nicht unbeschadet. Peter Stamms Romandebüt ist inzwischen Pflichtlektüre fürs Abitur, auf einer Stufe mit „Dantons Tod“ und „Homo Faber“. Wie bei Max Frisch gibt es bei Stamm einen älteren Mann, dem ein Mädchen begegnet, das ihn auf ihre Kosten verjüngt. Zugleich ist alles ganz filmisch, denn die Ebenen überlagern einander: Realität und Fantasie, Kunst und Echtheit und wie sie einander tangieren … Schmid ist wie Hitchcock in „Vertigo“ ein unzuverlässiger Erzähler. Ganz und gar getragen und gelenkt wird die Adaption von Odine Johne in der Titelrolle. Sie ist von flirrender Intensität, Prägnanz und keinen Augenblick ohne Geheimnis. Sie hat E. T. A. Hoffmann verstanden und erweitert die Quantenphysikerin Agnes um romantische Dimensionen, die auch in Stamms Roman bereits angelegt sind. Johnes Agnes ist intensiv, frei, offen, aber sie hat Dämonen in sich, und vielleicht ist ihr Wunsch, im Kunstwerk verewigt zu werden, von Anfang an ein Teufelspakt à la Dorian Gray. Ein atemberaubender Auftritt.