Adrianne Lenker
„Bright Future“ – Zauber des Moments
4AD (VÖ: 22.3.)
Eine Wald-und-Wiesen-Platte der Big-Thief-Chefin über das Wesen der Liebe
Von einsamen Waldhütten, Selbstbesinnung und analoger Technik kündet ja im Prinzip jede zweite amerikanische Songschreiber-Platte. Doch so kompromisslos wie die Big-Thief-Sängerin Adrianne Lenker auf ihrem neuen Soloalbum hat schon lange niemand mehr die innere Einkehr betrieben. Im Herbst 2022 fängt Lenker die zwölf Stücke von „Bright Future“ mithilfe eines Achtspurgeräts ein. Co-Produzent Philip Weinrobe improvisiert ein kleines Studio, drei Freund:innen ergänzen Fiddle, Piano und weitere Akustikgitarren. Es gibt lange Spaziergänge und Kaminabende. Das Rauschen der Baumwipfel ist das fünfte Bandmitglied in Lenkers Meditationsklause.
Man hört es auf der Platte nicht, doch man spürt es in jedem Ton dieser sanft zusammengefädelten Lieder. Man hört aber, wie die Musiker:innen langsam Vertrauen zueinander fassen. Wie sie eine gemeinsame Sprache entwickeln, den Zauber des Moments auskosten und einen Hauch von Field Recordings durch den Raum wehen lassen. Lenker wollte diese One-Take-Wunder ursprünglich gar nicht veröffentlichen. Das änderte sich zum Glück, als sie die Bänder abhörte.
Die Stücke atmen sehr viel Folk und ein bisschen Country
Wer sich einen Staudamm in die Seele gebaut hat, um schmerzvolle Gefühle zurückzuhalten, wird mit „Bright Future“ wenig anfangen können. Für alle an deren legt Lenker ihr Inneres offen. Beschwört in „Real House“ die Kindheit und die Beziehung zur Mutter. „I’m a child hum ming into the clarity of black space/ Where stars shine like tears on the night’s face“, singt die Verwundbarkeitsdichterin zu zaghaften Klavierakkorden. Und später: „Now 31 and I don’t feel strong/ And your love is all I want.“ Sie wundert sich, wie die Jahreszeiten vorbeiziehen („Sadness As A Gift“) und warum sich eine Geliebte nicht entscheiden kann, welches Leben sie führen will („Fool“). Die Stücke atmen sehr viel Folk und ein bisschen Country.
„Evol“ wirkt beinahe schockierend in dieser heilen den Kräuterteestunde: eine Pianoballade, so unbegreiflich wie die Bewegungen des Herzens. „Bright Future“ ist eine Thermoskanne voll Liebe in einem Jahr der emotionalen Vergletscherung. Den Titel sollte man übrigens nicht ironisch verstehen. Viel mehr liegt darin die Gewissheit, dass wir, wenn alle Tränen geweint sind, mit klarem Blick nach vorn schauen