A-ha

Scoundrel Days

Den Stellenwert ihres wichtigsten Werks haben auch A-ha nie in Frage gestellt.

„Der Schock saß tief“, sagte Morten Harket 2010 im Gespräch. „Bei denjenigen, die dachten, wir hätten mit ‚Hunting High and Low“ unsere Karten ausgespielt.“ Genüsslich fuhr der Sänger fort: „Dann kam unsere zweite Platte, out of the hat. Wie ein Eimer kaltes Wasser. Und wir waren quasi schon Co-Produzenten.“

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A-ha :: Hunting High And Low

„Scoundrel Days“ erschien 16 Monate nach dem Debüt von A-ha, „Hunting High and Low“, und wie überraschend das neue Album sein würde, zeigte die Vorab-Single. „Take On Me“ bot noch, ein Jahr zuvor, reinen Gewinner-Pop. In dem Lied ging es darum, ein Mädchen zurückzugewinnen. Das Video mit Comic-Elementen machte die drei Norweger aus dem Stand zu MTV-Stars. „I’ve Been Losing You“ dagegen war –unabhängig vom grammatikalisch unnötig komplizierten Titel – schwerer zu verdauen. A-ha versuchten sich als Rockmusiker, und der grobkörnige Clip präsentierte das Trio als Liveband. Die erste Konzertreise stand an, gleich um die ganze Welt, und das Video bildete ihr Tourneeleben ab.

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Mörder und Häftlinge

„It wasn’t the rain that washed away / Rinsed out the colors of your eyes“, sang Harket in „I’ve Been Losing You“. „Putting the gun down on the bedside table.“ „Hunting High and Low“ stellte noch Songs über das Aufwachsen in den Mittelpunkt, die Angst vor Niederlagen in der Liebe („The Blue Sky“), aber auch Expeditionen in die Natur, wie in „Living a Boy’s Adventure Tale“. „Scoundrel Days“ schilderte Leben aus der Perspektive eines Erwachsenen, und wie man auf die schiefe Bahn geraten kann. Es geht um Mörder und Häftlinge – „Well, they gave me four years“, wie in „The Soft Rains Of April“. Und das Wetter, wie schon in „Hunting High and Low“, war wieder ein Gegner: „October“ als Monat, der Einsamkeit schafft.

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A-ha :: East Of The Sun, West Of The Moon

Wobei Mord, Selbstmord und Gefängnis, das wurden die Musiker nicht müde zu erwähnen, natürlich auch Metaphern sind. Metaphern für die Gefühle junger Hörer, die vor Problemen stehen. Spötter bezeichneten A-ha deshalb weiter als Teenie-Band. Klassischer Deutungsfehler von Kritikern. Wenn sich vor allem junge Menschen von A-ha angezogen fühlten, hieß das ja nicht, dass sie simple Musik machten.

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A-ha :: Stay On These Roads

Für A-ha war dieses Verhalten eine Respektlosigkeit – nicht nur ihnen gegenüber, sondern gegenüber den Fans. „Wir mussten der Industrie einfach zeigen, wer wir wirklich sind“, sagte Morten Harket. „Teenager werden von so vielen verschiedenen Gefühlen beherrscht: existentielle Fragen, Glaube, Nicht-Glaube, Atheismus, Hass, Liebe natürlich. Wir kann man das nicht ernst nehmen?“

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A-ha :: Memorial Beach

„He had just one shot to deliver“

Die Arbeit an „Scoundrel Days“ verlief nicht problemlos. Nach dem Aus-dem-Nichts-Welthit „Hunting High and Low“ musste die Band Ansprüchen gerecht werden. „Wir standen vor allem unter Zeitdruck“, erinnerte sich Gitarrist und Hauptkomponist Pal Waktaar. „Unsere erste Welttournee war längst gebucht, jede Aufnahme musste sitzen. ‚I’ve been losing you‘ entstand in Australien, innerhalb von zwei Tagen. ‚Morten, unser Flug geht in einer halben Stunde – bitte singe die Nummer jetzt gleich ein’. He had just one shot to deliver.“

Der Tourmanager habe buchstäblich die Fahrstuhltüren aufgehalten und auf die Musiker gewartet, weil sie weiterfliegen mussten. Waktaar bezeichnete „I’ve Been Losing You“, demnach ein One-Take, damals als eine der besten Leistungen seines Sängers.

Lennon und McCartney als Vorbild

Die Plattenfirma konnte natürlich nicht ahnen, dass „Scoundrel Days“ sich schlechter verkaufen würde als „Hunting High and Low“. Das zweite Werk würde daher, bis heute, das freiheitlichste von A-ha sein – was die Band seinerzeit dazu nutzte, zehn Songs voller Zweifel zu komponieren, sieht man von „We’re Looking For The Whales“ ab, das mit seiner schönen Zeile „restlessness is in our genes / time won’t wear it off“ die Unbändigkeit feierte. Mit dem Album, „Stay On These Roads“ (1988), würden A-ha wieder versuchen Boden in den Charts zurück zu gewinnen. Allerdings mit einem Hang zum Pop-Gaga („Me I’m Touchy / Touchy Touchy You“), der überhaupt nicht zu ihnen passte.

Nach dem starken „I’ve Been Losing You“ erwiesen sich ausgerechnet die zwei anderen Single-Auskopplungen aus „Scoundrel Days“ als die schwächeren Songs der Platte. „Cry Wolf“ schielte, mit seinem für die Achtziger so typischen Synthi-Fanfaren-Refrain, vielleicht einen Tick zu sehr auf die Tanzfläche. „Manhattan Skyline“ irritierte weniger durch seinen Stimmungswechsel im Refrain – Pianist Magne Furuholmen verglich die zwei verschiedenen Songteile mit der Arbeitsweise von Lennon und McCartney, die ihre Stücke zusammenfügten – als durch den unfreiwillig komischen Versuch, nach Harkets Ausruf „You Know!“ mit Gitarre und Keyboard Härte zu demonstrieren.

A-ha 1986: Magne Furuholmen, Morten Harket, Pal Waktaar
A-ha 1986: Magne Furuholmen, Morten Harket, Pal Waktaar

Aber „Cry Wolf“ demonstrierte auch, so wie „We’re Looking For The Whales“ oder „The Weight Of The Wind“, die hohe Kunst des Fade-Outs. Harket und Co-Sänger Furuholmen drehen gegen Ende der Lieder noch einmal auf, mit neuen Melodien, die langsam ausgeblendet werden. Wenn die Songs so enden, drehen sie sich im Kopf weiter, sie sind herrlich unfertig, neue Ufer erschließen die Hörer dann von selbst. A-ha wurden dadurch zu einer Band, deren längere, wohl nie zur Veröffentlichung anstehende Studioaufnahmen der Vierminüter man gerne unter die Lupe genommen hätte.

Nur die Wolkenflecken fehlen

Das traumhafte Cover mit seinen surrealen, gelb-grünen Farben auf Hügeln entstand, anders als es unsere gemeine Vorstellung von Skandinaviern suggerieren könnte, nicht an einem „Fjord in Norwegen“, sondern auf dem Haleakalā, einem Vulkan auf Hawaii. Weiter entfernt als von Hawaii aber hätte die traurige Musik dieses Albums nicht klingen können.

A-ha ließen sich nach „Scoundrel Days“ auf den Versuch der – nicht wirklich geglückten – Kurskorrektur ein, um nach „Stay On These Roads“ mit „East Of The Sun, West Of The Moon“ (1990) dann Folkrock zu komponieren. Aber da wurden die Spannungen unter den Musikern, bei nachlassendem Erfolg, bereits größer.

Den Stellenwert ihres wichtigsten Werks jedoch haben Harket, Waktaar und Furuholmen nie in Frage gestellt. Mit „How Can I Sleep With Your Voice In My Head“ (2003) benannten sie ein späteres Live-Album nach einer Textzeile aus „The Swing Of Things“; sie führten die Platte, gemeinsam mit „Hunting High and Low“ im Jahr 2010 als Ganzes auf; der 2005er-Song „Celice“ zitiert die Melodie von „Scoundrel Days“; und bei ihrer vorläufigen Abschiedstournee von 2010 stammten sechs Songs der Setlist von diesem Album – mehr Lieder als von jeder anderen Platte.

„Und geht es nicht nur darum – um das Fühlen?“

Wie bedeutsam für A-ha das Gesamtpaket „Scoundrel Days“ ist, demonstrierte Magne Furuholmen bei einem Interview aus dem vergangenen Jahr. Als die Rede auf das Vinyl-Reissue des Albums kam, schaute der Keyboarder mit einem Mal betrübt drein. Das LP-Cover der Neuauflage, sagte er, sei ja nicht so gut gelungen.

Warum? Der Kartonhülle, so Furuholmen, fehlt der Prägedruck, wie ihn das Original von 1986 aufwies. Die Wolkenflecken auf dem Cover sind nicht mehr abgehoben, lassen sich nicht mehr fühlen. Furuholmen überlegte, lachte dann. „Und geht es nicht nur darum – um das Fühlen?“.

Essenziell

Hunting High and Low (1985)

Sie kleideten sich wie die Rebellen aus „Rumble Fish“ und sangen über Auszug aus dem Elternhaus, Gesichtsverlust („I‘m too young to take on my deepest fears“) und Einsamkeit in fremden Ländern. „Would she laugh at my accent?“, fragt Morten Harket, der auf seine Angebetete wartet, in „The Blue Sky“. Mit „Living A Boy’s Adventure Tale“ geht es in die Natur, dem Wetter und der Nacht ausgeliefert: „The rain pours down, my head in hands, pressed to the ground“.

Die Bonus-Stücke der 2015er-Edition  erhellen die Evolution der Single „Take On Me“. A-ha wussten: Das wird ein Welterfolg, wenn sie nur lange genug daran schrauben; der heutige Klassiker chartete erst mit der dritten Veröffentlichung und in einer Neuaufnahme. Das epische Titelstück kartografiert die (emotionale) Landschaft, in der jemand über einen Verlust zu singen vermag, neu. Alles war voller Berge, Meeresböden und Wälder. „Hunting High and Low“ ist eines der vielen 1985er-Alben übers Erwachsenwerden: „Songs From The Big Chair“ „Like A Virgin“, „Meat Is Murder“, „Steve McQueen“ … und selbst die Werke schlechterer Bands erzielten mit dem Thema Alter Aufmerksamkeit – wie „Misplaced Childhood“ von Marillion.

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Scoundrel Days (1986)

Nicht nur durch den grammatikalisch unnötig komplizierten Song-Titel „I’ve Been Losing You“ zeigte ihr zweites und bestes Album eine neue Richtung an.  A-ha versuchten sich als Rockmusiker. „Scoundrel Days“ schildert Leben aus der Perspektive eines Heranwachsenden, der auf die schiefe Bahn gerät.

Es geht um Mörder und Häftlinge – „well, they gave me four years“, wie in „The Soft Rains Of April“. Und das Wetter war wieder ein Gegner: „October“ als Monat, der Einsamkeit schafft. „Wir mussten der Industrie einfach zeigen, wer wir wirklich sind“, sagte Harket. „Teenager werden von so vielen verschiedenen Gefühlen beherrscht: existentiellen Fragen, Glaube, Atheismus, Hass, Liebe natürlich. Komplexe Sachen. Wir kann man das nicht ernst nehmen?“ Das zweite Werk würde daher ihr freiheitlichstes sein – was das Trio für die Komposition voller verzweifelter Songs nutzte, abgesehen von „We’re Looking For The Whales“, das mit seiner schönen Zeile „restlessness is in our genes / time won’t wear it off“ die Unbändigkeit feierte. Das Cover mit seinen surrealen Farben und Hügeln entstand nicht auf einem klischeehaften „Fjord in Norwegen“, sondern auf dem Haleakalā, einem Vulkan auf Hawaii. Weiter entfernt als von Hawaii hätte diese traurige Musik nicht klingen können. Aber noch immer galten A-ha als Teenie-Band.

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East of the Sun, West of the Moon (1990)

Morten kleidete sich als John-Dunbar-Indianer, probierte sich als Kulturassimilant, Mags wiederum wurde wieder zu Magne, ging vom Englischen also zum norwegischen Geburtsnamen zurück, trug  Vollbart und spielte Keyboard nur noch im Sitzen, weil seriöser. Nach dem Misserfolg des „Stay On These Roads“-Albums schickten A-ha mit „Crying in the Rain“ erstmals die Coverversion eines berühmten Originals ins Rennen; der Hit der Everly Brothers wurde im Kinojahr von „Ghost“ oft mit „Unchained Melody“ der Righteous Brothers verwechselt.

A-ha wollten klingen wie Robbie Robertson. Um ein Live-Feeling herzustellen, streuten sie allerhand Kommandos und „Okays“ in die Songs ein, die auf der Platte erhalten geblieben sind und Improvisationen dokumentieren sollen. Der Blues von „Sycamore Leaves“ würde David Lynch inspirieren, der Regisseur wollte das mysteriöse Lied  („Out there by the roadside something‘s buried / Under sycamore leaves“) in „Twin Peaks“ verwenden – hat leider nicht geklappt, aber zumindest die Textzeile soll es in die Serie geschafft haben.

Brian Rasic Getty Images