A-ha
Memorial Beach
Ein allerletzter Versuch: Ab nach Amerika in die Paisley Park Studios. Mit "Memorial Beach" scheiterten A-ha grandios.
Die Stimmung innerhalb der Band war schlechter denn je, aber A-ha-Keyboarder Magne Furuholmen ließ sich den Spaß nicht verderben. Schließlich war er nun im Paisley Park, dem seit Gründung 1988 als geheimnisvoll geltenden Hallenkomplex vor den Toren von Minneapolis. Das Anwesen diente Prince als Tonstudio, Bühne und Experimentierfeld. Weil der Besitzer selbst aber selten zu sehen gewesen war, soll Furuholmen einen Hinweis auf der Toilette hinterlassen haben. Ungesichert ist, was genau er geschrieben habe. Am häufigsten aber ist im Netz zu finden, dass er das hier auf die Kacheln neben den Pissoir gekritzelt haben soll: „I was here – Prince“. In Kniehöhe, als Anspielung auf die geringe Körpergröße des Kollegen.
Wie verloren sich die drei Norweger wohl in den Gängen des Paisley Parks gefühlt haben müssen? Sänger Morten Harket sprach von den Aufnahmen als die „dunkelste Zeit ihrer Karriere“. Die drei Musiker waren am Ende angekommen, es lief untereinander nicht mehr. Auch nicht in den Charts und bei Rezensenten. Der Erfolg des phänomenalen Debüts „Hunting High and Low“ von 1985 ließ sich nicht wiederholen. Das noch bessere, aber düstere „Scoundrel Days“ (1986) verkaufte sich bereits schlechter, die Kurskorrektur mit „Stay On These Roads“ (1988) enthielt zu viele schlichte, anbiedernde Pop-Songs, und das Vollbart-Americana-Album „East Of The Sun, West Of The Moon“ wirkte auf Fans befremdlich, auf Kritiker altklug.
Soul? Eher ein rumpeliger Kleinwagen
Amerika aber ließ die Band nicht mehr los. Die Idee sich Inspirationen in Minneapolis zu holen, war ja auch durchaus charmant. Zwar ist Prince‘ größte Zeit längst vorbei gewesen, die Aura des Genies verflüchtigte sich, aber gemeinsam mit dem Produzenten David Z. hätte sich durchaus etwas anstellen lassen können. David Rivkin, wie „Z.“ eigentlich heißt, zeichnete für die Co-Produktionen des Prince-Stücks „Kiss“, als auch für den Schlagzeug-Sound des Fine-Young-Cannibals-Hit „She Drives Me Crazy“ verantwortlich. Das Label „Funk“ sollte nun auch A-ha Beine machen.
Hat nicht wirklich gut funktioniert. Von den zehn auf „Memorial Beach“ veröffentlichten Stücken fallen besonders jene durch, die die Tanzfläche im Sinn haben. „Lie Down in Darkness“ fuhr die Steeles als Backgroundsängerinnen auf, aber statt nach Soul klingt das Ergebnis wie ein rumpeliger Kleinwagen. Was soll es auch bringen, wenn Gitarrist Pal Waktaar den Nile Rodgers macht, solange die Rhythmus-Sektion keine Ideen hat. Gleiches Schicksal für „Between Your Mama And Yourself“ sowie „How Sweet It Was“ – sieben Minuten geistige Leere. Etwas besser nutzte „Cold As Stone“, mit 8:19 Minuten der bis heute längste A-ha-Song, seine Zeit. Der architektonische Aufbau, der Anfang und das Ende gehört Harket, der instrumentale, sich ins Crescendo steigernde Mittelteil den Gitarren Waktaars, erweckt jeden aus dem Tiefschlaf.
Panoramafenster hatte mit Blick über Minneapolis?
Die zwei Jahre zuvor schon veröffentlichte Single „Move To Memphis“ bedient die Lust der Band an Alliterationen, ist ansonsten aber langweilig – und mogelt sich dennoch bis heute auf die Setlisten. Vielleicht, weil A-ha sich verpflichtet fühlen wenigstens eine Auskopplung aus „Memorial Beach“ live darzubieten.
An Fahrt nimmt die Platte immer dann auf, wenn Flächen besungen werden, die Weite des Sichtfelds. Ob das Tonstudio im Paisley Park ein Panoramafenster hatte mit Blick über Minneapolis? „Locust“ handelt nur vordergründig vom Insekt, aber es behandelt schließlich ein Tier, dessen Verhalten Konsequenzen hat für amerikanische Landwirtschaft und damit für das Aussehen von „God’s Own Country“.
Mit dem Trek an die Westküste
In „Dark Is The Night For All“, der letzten großen A-ha-Single, öffnet Harket seine Stimme wie einen Fächer in beide Richtungen, Waktaar spielt sein bestes Solo, die Gitarre schreit „Go West!“, und aus einer zögerlichen Ballade wird ein Epos. A-ha wirken hier wirklich wie die amerikanische Band, die sie noch auf „East Of The Sun, West Of The Moon“ sein wollten. Harket intoniert „It’s Time … To Break Free“ und innerhalb von Sekunden geht es mit dem Trek an die Westküste. Kommt einem zumindest so in den Sinn.
Besser als hier hatte Harket seit Jahren nicht gesungen, und das zuvor auch nur auf „Living A Boy’s Adventure Tale“ (1985) sowie „The Weight Of The Wind“ (1986). Für ihn waren A-ha ganz klar nur noch Sprungbrett, und der damals 34-Jährige sollte auch der Erste aus der Band sein, der ein internationales Soloalbum vorlegen würde („Wild Seed“ von 1995).
Man kann auch Zahlen sprechen lassen: Anzahl der neuen Waktaar-Songs auf „Memorial Beach“: 8. Furuholmen: 1. Harket: 0. Ob Pal Waktaar auf „Memorial Beach“ nur noch seinen Schrank voller älterer Songs entleerte, oder aber die Arbeit alleine, so gut wie er konnte, mit neuem Material schulterte? Ob die anderen beiden keine Lust mehr hatten was zu Schreiben oder ihre Beiträge schlicht zu schlecht waren?
Mit „Angel In The Snow“, einem älteren Stück, das Waktaar für seine Ehefrau schrieb, ist zumindest eine weitere Großtat auf der Platte enthalten. Die Deluxe-Version enthält auch eine instrumentale Version, die die vielen aufeinander geschichteten Gitarren in den Vordergrund rückt. Aber selbst in der Gesangsfassung, die ohne spektakulären Refrain auskommt, weiß Harket seine Stimme eher als Beiwerk einzusetzen statt sich wichtig zu machen. Die wohl am bescheidensten daherkommende Single des Trios.
Norwegen: Null Punkte
So wurde „Memorial Beach“ nach Erscheinen im Juni 1993 nicht mal verrissen. Es hatte schlicht kaum noch jemanden interessiert. Es war auch kein Jahr mehr für Popbands, schon gar nicht für Skandinavier; die jüngeren Musiker aus dem Raum formierten sich nun im Eurodance-Bereich.
Das Jahr 1993 wurde hauptsächlich von Amerikanern regiert, aber eben von Nirvana, Pearl Jam, Lenny, R.E.M. – und dann gab’s höchstens noch die Iren von U2. In dieser Liga konnten A-ha nicht mitspielen. Das Plattencover drückte diese Verzweiflung, den Anschluss nicht zu verpassen, aus. Die drei stehen am „Memorial Beach“, Morten in weißer Jeans und offener schwarzer Lederjacke auf blanker Brust – Modeberatung wie von Tom Tailor und Bruno Banani. Magne ebenso: Stoff offen auf nackter Haut. Nur der schmächtige Waktaar war wieder einmal für die Rolle des gefühlvollen Halbstarken abonniert, in seiner Hosentasche vielleicht ein kleines Taschenmesser, er stellte sich krumm hin wie James Dean, dem Mutti stets zurufen will: Schultern zurück, Brust raus!
Eine große Tournee sollte vor der Trennung noch drin sein, und A-ha zog es auch wieder nach Südamerika, wo sie 1991 in Rio de Janeiro den Rekord für das Konzert mit den meisten zahlenden Zuschauern gebrochen hatten (198.000). Tatsächlich, das belegen die im Netz befindlichen Videos, waren A-ha als Liveband wohl nie besser als vor ihrem Ende 1994.
Sie trauten sich nun auf der Bühne sogar, gelegentlich ihren Überhit „Take On Me“ wegzulassen. Diesen Mut in etwas Neues einfließen zu lassen aber, der fehlte ihnen im Studio dann doch.