A-ha
Hunting High And Low
Vor 30 Jahren veröffentlichten A-ha ihr Debüt "Hunting High And Low". Eine Songsammlung über das Erwachsenwerden, die bis heute strahlt.
Gute Popsongs überrumpeln einen überall. So war das auch mit „Take On Me“ vor 30 Jahren. Bei der Arbeit, in der Schule oder beim Aufstehen, Morten Harket sang zu jeder Stunde aus dem Radio und auf MTV, und er sang so, wie man sich einen singenden Grashüpfer vorstellen würde. Die Töne waren derart freudig, als würde er beim Singen von Blatt zu Blatt springen, der Mann war nicht zu fassen, und mit jedem Sprung präsentierte er eine neue Melodiewendung. Der Drumcomputer seiner Band wiederum schien aus Licht und Liebe zu bestehen. Als Hörer fühlte man sich schon nach wenigen Sekunden wie in einem Luftkissenboot. Der Bürostuhl war vergessen.
„Take On Me“ war der Ohrwurm das Jahres 1985, auch wenn das natürlich nicht heißt, dass er von allen geliebt wird. Das können andere Ohrwürmer der Geschichte („Every Breath You Take“, „We Are The Champions“, „The Final Countdown“) bestätigen. Aber ein Ohrwurm ist so hartnäckig, dass er auch nie wieder vergessen werden wird.
Wie konnten Polarmenschen solche Popmusik machen?
Als A-ha die Musikwelt betraten, wurden sie bestaunt wie Exoten. Morten Harket, Pal Waktaar und Magne „Mags“ Furuholmen waren Norweger. Das reichte als Grund für Aufregung. Mit den Schweden von Abba machte zwar zehn Jahre zuvor, 1974, erstmals eine skandinavische Band Karriere – aber danach setzte sich international kein Künstler aus den Nordländern mehr durch. Die drei zurückhaltend auftretenden Osloer schienen den Leuten wie aus einer unerforschten Eislandschaft entstiegen. „Take On Me“ wurde die erste Nummer-Eins-Single von Norwegern in den USA. Die Leute dort fragten sich: Wie konnten diese Polarmenschen solche Popmusik machen? Die Medien gaben den zurückhaltend wirkenden Drei sogleich Rollen: Harket mit den hohen Wangenknochen und den scharf geschnittenen Augen war der Schöne, Komponist Waktaar der Melancholiker und Keyboarder Magne … der schöne Melancholiker. Von diesen Zuschreibungen sollten A-ha sich nicht lösen können, und selbst heute noch, da die Musiker die 50 längst überschritten haben, wird bei jeder Veröffentlichung abgewogen – von Kritikern hämisch, von Fans manchmal ängstlich – ob ihr Aussehen noch so jugendlich wirken könnte wie die neuen Songs. Die Musiker, und das kann man auf dem „Hunting High and Low“-Cover sehen, hatten eher Bilder aus dem Film „Rumble Fish“ im Sinn. In Francis Ford Coppolas Teenager-Drama von 1983, in schwarzweiß gefilmt, sahen die Kids nach Straße aus, und auch die drei Norweger hatten ihre Rebellen-Blicke eingeübt.
2010, vor der vorläufigen Auflösung der Band, sagte Harket im Interview über die Zeit nach ihrem Durchbruch: „Wir kehrten den Medien den Rücken zu. Die Medien behandeln junge Menschen manchmal respektlos – und sie behandelten auch unsere Hörerschaft manchmal respektlos. Teenager haben so viele verschiedene Gefühle, die sie miteinander vereinbaren müssen. Existentielle Fragen, Glaube, Nicht-Glaube, Atheismus, Hass, Liebe natürlich. Unser Trauma bestand darin, mit dem Bla-Bla der Medien klarzukommen. Dem Bla-Bla über unser Aussehen etwa. Nur darüber zu berichten, das war respektlos gegenüber unseren Fans. Irgendwann mussten wir uns einfach von den Medien abwenden, denen es nur um unser Erscheinungsbild ging.“
Wie es so kommen musste, sollte das mit dem „irgendwann abwenden“ auch Auswirkungen auf den Erfolg haben. Spätestens ab 1990 mit dem Album „East Of The Sun, West Of The Moon“ waren A-ha abgehandelt, man wollte sie nicht aufwachsen sehen.
Zwei frühere Fassungen von „Take On Me“ floppten
1985 aber sah die Welt für a-Ha noch super aus, auch die Band-Chemie stimmte noch. Entgegen romantischer Vorstellungen waren die Mittzwanziger nicht plötzlich auf der Bildfläche erschienen – mit ihrer Debütsingle fuhren sie den Lohn für jahrelange Arbeit ein. Harket, Waktaar und Furuholmen reisten ab 1983 nach England, lebten zeitweise in einem Tonstudio, schliefen auf Fußböden und arbeiteten an Songs. Wer die zig Versionen von „Take On Me“ kennt, die vielen Stadien der Entwicklung, weiß, dass das Lied nicht aus plötzlicher Eingebung entstanden ist, oder in einem Traum wie McCartneys „Yesterday“. Zwei frühere Fassungen des Stücks, die im Vergleich zum finalen Song wie ein stotternder Motor klangen, floppten 1984 in den Charts. A-ha bewiesen langen Atem. Mit dem Produzenten Alan Tarney wagten sie den dritten Versuch, der zum ersehnten Hit werden würde.
Das optimistische Lied, in dem ein Mann eine Frau für sich zurückgewinnt, koste es, was es wolle, war jedoch nicht stellvertretend für die Stimmungen im dazugehörigen Album. Als im Oktober 1985 „Take On Me“ zum Welthit aufstieg, lief „Hunting High and Low“ pikanterweise noch unter dem Radar. Die Platte war bereits im Juni erschienen.
„Hunting High and Low“ ist eines der vielen guten Alben übers Erwachsenwerden, die 1985 den Markt durcheinander wirbelten. „Songs From The Big Chair“ von Tears For Fears gehört natürlich dazu, Madonnas „Like A Virgin“, „Meat Is Murder“ der Smiths, „Steve McQueen“ von Prefab Sprout, und selbst die schlechteren Werke schlechterer Bands erzielten mit dem Thema Alter Aufmerksamkeit („Misplaced Childhood“ von Marillion).
Gesichtsverlust, Angst vor anderen Menschen und die Befürchtung, auch im höheren Alter sich nie selbst akzeptieren zu können – „I’m Too Young To Take On My Deepest Fears“. Als wären die tiefsten Ängste durch die Kindheit vorbestimmt! Die Songs auf „Hunting High and Low“ waren düster, auch wenn die Produktion ihnen – Rhythmen und Töne klickten und klackten und sprangen wie wild – oft ein großes Lächeln verpasste.
Oh, I never knew that / Blue sky meant such pain
„My head in hands, pressed to the ground / And where am I supposed to go now“: In „Living A Boy’s Adventure Tale“ geht es um den Ausbruch eines jungen Mannes in die Wildnis, und wie er scheitern könnte, weil er zu impulsiv gehandelt hat; „Blue Sky“ wiederum erfüllt den Anspruch der Melancholie, dass etwas Wunderschönes vor allem Sehnsüchte wecken kann: „But would she laugh at my accent, and make fun of me (…) Oh, I never knew that / Blue sky meant such pain.“
Harket sagte dazu: „Melancholie verweist auf Sachen, die uns etwas bedeuten. Etwas, das wir umarmen möchten. Aber sind die Songs deshalb traurig? Die Bedürfnisse in ‚The Blue Sky’, wenn es darum geht eine Frau anzusprechen oder das nicht zu können, bieten keinen Grund zur Traurigkeit. Es geht vielmehr um eine Kapazität, die noch nicht genutzt wurde. Das ist eine wundervolle Sache am Menschen: dass er aus sich heraustreten kann.“
Auf den zehn Songs von „Hunting High and Low“ präsentierte sich der damals 25-Jährige bereits als einer der vielseitigsten neuen Sänger, und im Gegensatz zu seinem heute manchmal auftretenden Gesäusel, traute er sich damals noch seine tiefe Stimme auszuloten. In „Train Of Thought“ kommt Harket seinem Vorbild, dem Bowie der Thin-White-Duke-Ära, schon recht nahe; und allein das epische Titelstück kartografierte die (emotionale) Landschaft, in der jemand über einen Verlust singen kann, neu. Alles war voller Hügel, Meeresböden und Wälder.
Später manövrierten sie sich in die Imagefalle
Das Debütalbum, befeuert auch durch die zweite Single „The Sun Always Shines On TV“ (Nummer eins in Großbritannien), sollte der größte Erfolg von a-Ha bleiben. Das 1986 veröffentlichte „Scoundrel Days“ war zwar noch düsterer und imposanter als der Vorgänger, vielen Fans aber fehlte darauf der Hit. Später manövrierten sich die Norweger zunehmend in Richtung der für sie ausgelegten Imagefalle, nach der Morten, Magne und Pal vor allem Posterboys zu sein hätten. Bitter, dass gerade die Versuche erwachsen zu klingen, zu kuriosen Ergebnissen führten. Ihre durchwachsene Dylan- und Robbie-Robertson-Hommage „East Of The Sun, West Of The Moon“ sollte unterstrichen werden durch lange Haare, Leder, Vollbart und einem Keyboarder, der fortan nicht mehr im Stehen, sondern Sitzen spielen würde, weil seriöser. Und das von Produzent David Z. im Paisley Park von Prince aufgenommene „Memorial Beach“ (1993) war vieles, aber nicht funky.
„Hunting High and Low“ und „Scoundrel Days“, das sind die zwei Alben, die A-ha 25 Jahre später, 2010, in Gänze live aufführen sollten, und die nun im Juni als LPs neu veröffentlicht werden. A-ha sind zu Recht stolz auf dieses Frühwerk voller atemberaubender Songs über die Adoleszenz.