A-ha
East Of The Sun, West Of The Moon
Bart, Kopftuch, Westernweste: A-ha auf der Suche nach Americana.
In den Jahren 1988 bis 1993 veröffentlichten A-ha nicht ihre besten, aber ihre interessantesten Alben. Zweifeln, scheitern, aufbäumen, resignieren, alles drin. „East Of The Sun, West Of The Moon“ von 1990 würde dabei als die erste echte Bandplatte in die Geschichte eingehen – echt, weil die Musiker erstmals komplett ohne Drumcomputer arbeiteten, Bassisten, Drummer und einen Saxofonisten eng in ihre Formation einbanden.
Jetzt waren sie zu sechst. A-ha klangen nun auch auf Platte wie Leute, die auf eine Bühne gehen, schwitzen, drücken und atmen. Eben wie ein Live-Act.
Manchmal aber auch nur wie eine Band, die Live-Act spielt.
Sänger Morten Harket war damals 31, Gitarrist Pal Waktaar 30, Keyboarder Magne Furuholmen 28. Wer will da noch für Musiker gehalten werden, der Lieder für Jugendliche schreiben? Nach den Erfolgen von „Hunting High and Low“(1985) und „Scoundrel Days“ (1986) galten A-ha als Teenieband, weil sie hübsch und als Norweger im Popgeschäft recht exotisch waren.
Da rückten Äußerlichkeiten schnell in den Fokus. Die wenigsten Kritiker achteten auf die Songs, in denen harte Themen angegangen wurden, Gesichtsverlust, Angst vor anderen Menschen und die Befürchtung, auch im höheren Alter sich nie selbst akzeptieren zu können – „I’m Too Young To Take On My Deepest Fears“, wie es noch in „The Blue Sky“ hieß. Die Plattenfirma wollte A-ha als junge Band, so lange es geht. Aber schon das dritte Werk, „Stay On These Roads“ von 1988, klang unentschlossen. Alberne, zu deutlich auf Hit getrimmte Strandlieder („Touchy!“) wechselten sich ab mit etwas langweiligen, instrumental ausufernden Dramen („Out Of Blue Comes Green“) sowie Neufassungen älterer Stücke („This Alone Is Love“).
Ran ans Great American Songbook
Für die Aufnahmen von „East Of The Sun, West Of The Moon“, dessen Titel auf Peter Christen Asbjørnsens und Jørgen Moes Volksmärchen von 1847 beruht, orientierten sich A-ha an den größten Vorbildern, an die sie sich ranzutrauen wagten. Keine Märchenkünstler, sondern Interpreten des Great American Songbook. Bob Dylan, Robbie Robertson, Leonard Cohen. Mit der Vorabsingle, einer Coverversion des Everly-Brothers-Song „Crying In The Rain“, gingen A-ha zurück bis ins Jahr 1957.
Dazu zählte auch ein neues Image. Das Plattencover in schwarzweiß sieht zwar aus wie vor der Fototapete aufgenommen, deutete aber dennoch den Wandel an: Kopftuch, Lederweste, die drei Männer standen etwas disparat zueinander, Morten in einer komischen Hocke, Brust raus, das sah nach lang eingeübter Pose aus. Mags, weißes Hemd in die Hose gestopft, außerdem trug er seinen neuen Vollbart zur Schau.
25 Jahre später wäre der Keyboarder als Hipster durchgegangen. Sein Instrument jedenfalls würde er für die Dauer dieser Bandphase nur noch im Sitzen spielen, was zweifelsohne seriöser aussieht. Steh-Keyboarder ist so Achtziger!
Natürlich sollte man eine Gruppe nicht auf ihr Äußeres reduzieren, aber die angestrengt wirkende Pose hat sich aber auch auf einige der Songs übertragen. Um das Live-Feeling glaubhaft zu machen, haben A-ha allerhand Kommandos und „Okays“ in die Songs eingestreut, die in den Aufnahmen erhalten geblieben sind und Improvisationen unter den Musikern dokumentieren sollen. Damit erreicht man auf Platte immer das Gegenteil, es wirkt künstlich. Selbst Kurt Cobain ging baden, als er auf „Serve The Servants“ drei Jahre später „spontan“ hustete, was dem Mir-alles-egal-Sänger natürlich komplett egal gewesen war. Oder egal sein sollte.
Der Mann mit der tiefer gelegten Whiskey-Stimme
Wenn junge Musiker älteren Musikern huldigen, indem sie so alt oder erfahren klingen wollen wie sie, besteht oft die Gefahr des Muckertums. Pose, breiter Gang. So wie in „Cold River“. Der klingt nach Band in einer deutschen Tourismus-Westernstadt, was besonders schade ist, weil der Song schon lange durch die Welt von A-ha geisterte und in früheren Versionen eben wie in guter Song von A-ha klang. Weise dafür war die Entscheidung, das – für die Deluxe Version ausgegrabene – Stück „Trees will not grow on sand“ nicht auf der damaligen Platte zu veröffentlichen.
Der Titel klingt bereits nach jener durch Schicksalsschläge erlernten Lebensweisheit von Menschen, die ihre Geschichte auf einer Veranda zum Besten geben. Zum Totlachen ist daher der Einsatz des Norwegers Magne mit seiner tiefer gelegten Whiskey-Stimme: „Alright“.
„East Of The Sun, West Of The Moon“entfaltet seine Klasse vor allem auf der ersten LP-Seite. Hier klangen A-ha nicht zu jung, nicht zu alt, sondern entsprechend ihrer Möglichkeiten. Das Coverstück „Crying In The Rain“ ist als Opener wie geschaffen für die Band, als Vorabsingle auch ein Versöhnungsangebot für zweifelnde Fans; Pal Waktaar spielt sein bis dato bestes Solo, die Gitarre weint.
Für die Produktion des Albums sollten gleich zwei Männer verantwortlich zeichnen, neben Ian Stanley (u.a. Tears For Fears) auch mit Christopher Neil ein älterer Hase aus dem Schlager-Showgeschäft. Welche Hoffnungen man noch in A-ha stecken konnte, zeigte das Interesse anderer Produzenten: Trevor Horn war im Gespräch, angeblich auch Giorgio Moroder. Der aber habe aus „Crying In The Rain“ einen Disco-Song machen wollen und sei damit aus dem Spiel gewesen.
Mord und Selbstmord
Die Songs zwei bis sechs enthalten gar alles, was eine Westernplatte braucht: „Early Morning“ etwa erzählt von Mord und Selbstmord, unterlegt mit einem psychedelisch anmutenden Bass-Schlagzeug-Spiel á la The Doors – die Wesensverwandten von A-ha, auch sie eine unterschätzte Popband.
Das Trennungsstück „I Call Your Name“ würde in die Historie eingehen als größte A-ha-Single, die nie Chartgeschichte schrieb, ein trauriges Schicksal, dass das Lied mit „You Are The One“ aus dem Vorgänger „Stay On These Roads“ teilen würde. Der langsam stampfende Blues von „Sycamore Leaves“ würde gar David Lynch inspirieren, der Regisseur wollte das mysteriöse Lied („Out there by the roadside something’s buried / Under sycamore leaves“) in „Twin Peaks“ verwenden – hat leider nicht geklappt, aber zumindest die Textzeile soll es in die Serie geschafft haben.
Die Überraschung der 2015 erschienenen Deluxe-Edition befindet sich auf der Bonus-Disc. Mit der Radio-Session „NRK Live“ von 1991 veröffentlichen A-ha die wahrscheinlich besten Aufnahmen ihrer Karriere. Man kann gar nicht fassen, dass sie so spät erst, fast 25 Jahre danach, in den Handel kommen gekommen sind. Vielleicht hätte der Mitschnitt der Band damals geholfen, größere Wirkung zu erzielen.
Die Bühnenfassungen der Albumstücke, flankiert von Klassikern wie „I’ve Been Losing You“, zeigen das Trio und ihre drei Co-Musiker auf der Höhe ihres Schaffens. Sie klingen wie gestandene Männer, die alles Leid der Welt erfahren, und vor allem die Kapriolen der Teenagerjahre abgelegt haben. Selbst freundliche Songs wie „Rolling Thunder“ erhalten hier einen Pathos, wie ihn sich nur die Großen leisten können.
Rekord in Brasilien
Geholfen hat diese Entwicklung der Band leider nicht. „East Of The Sun, West Of The Moon“ leistete seinen Beitrag auf der steilen Kurve nach unten, es verkaufte sich schlecht, man wollte A-ha nicht als Erwachsene sehen. Bis zur ersten Trennung 1994 würden die Musiker nur noch ein weiteres Album, „Memorial Beach“ (Rezension folgt auf rollingstone.de) veröffentlichen.
Ein Höhepunkt indes stand noch aus: A-ha traten 1991 bei „Rock In Rio II“ in Brasilien auf, ein mit Prince, Guns N‘ Roses, INXS und George Michael damals entsprechend hochkarätig besetztes Festival. Und die vermeintlichen Has Beens, A-ha, schockten die Welt: 198.000 Menschen kamen um die Band im Maracana-Stadion zu sehen. Ein bis heute gültiger Rekord, was zahlende Zuschauer betrifft. Verwundern muss einen das nicht: Live waren die Norweger nie besser als zu dieser Zeit.