Prince
Controversy
Immer mehr Leute lehnten ihn ab, aber er setzte der Intoleranz ein Statement entgegen: Wie Prince mit seinem vierten Album "Controversy" weiter an seiner Karriere bastelte
Fünf Tage vor Veröffentlichung seines vierten Albums wusste Prince, dass er mit „Controversy“ ins Schwarze treffen würde: Weil er von der Bühne gebuht wurde, von Leuten, die zu doof waren ihn zu verstehen.
9. Oktober 1981, im Coliseum von Los Angeles war Prince als Support für die Rolling Stones gebucht. 90.000 Leute, das vielleicht größte Publikum, vor dem er je auftreten würde. Für Mick Jagger war der 23-Jährige, Ledermantel, Stilettos, Strapse, Bikini, Falsettgesang, ein toller neuer Musiker. Stones-Fans sahen das anders. Obwohl Prince mit „Bambi“ einen eher verträglichen „Rocker“ als Eröffnungsstück wählte, flogen Flaschen und Schuhe. Nach vier Songs war Schluss, er flüchtete von der Bühne. Prince und Band würden danach nie wieder für irgendjemanden als Vorgruppe auftreten, das stand fest.
Aber nicht nur wegen der schlechten Erfahrung. Sie sollten es auch einfach nicht mehr nötig haben. Ein großer Schritt stand an.
Mit „Controversy“ verarbeitete Prince jene Ablehnung, die er wegen des Vorgänger-Albums „Dirty Mind“ (1980) erfuhr, als er über Oralverkehr („Head“) und Inzest („Sister“) sang. Aus vormaligen Soft-Soul-Interpreten mit Top-20-Hit („I Wanna Be Your Lover“) war damals, innerhalb eines dreiviertel Jahres, ein Außenseiter geworden.
Dementsprechend viel hatte sich aufgestaut, aber Prince dachte gar nicht daran, sich zurückzunehmen. Im Gegenteil, mit dem Titelsong sowie „Do Me, Baby“ komponierte Prince seine bislang längsten Lieder, 7:15 und 7:43 Minuten lang. Beide würden die nächsten 35 Jahre, bis zu seinem Tod, auch zu seinen beliebtesten Stücken gehören.
Straight or Gay?
„Controversy“ war Beichte, Anklage, Urteil und Liebesbeweis in einem. „I Just Can’t Believe All The Things People Say / Controversy / Am I Black Or White, Am I Straight Or Gay“, sang er seinen Kritikern, aber auch zweifelnden Fans entgegen, und dann „I Wish We All Were Nude“.
Der Song war – abgesehen vom Techno-artigen Beat, der bis heute DJs inspiriert und Prince’ Meisterschaft auf dem Linn-Drumcomputer erstmals unter Beweis stellte – deshalb so überraschend, weil Prince zum Ende, als alles über den Sex gesagt ist, das Vaterunser zitiert. Gottesanbetung und Wollust vereint: Mit der Balance zwischen Gläubigkeit und Trieb sollte Prince sich zeit seiner Karriere beschäftigen.
„Do Me, Baby“ war noch cleverer, da es als Liebesballade beginnt, aber mitten im Song in eine Art „Sex Talk“ umschwenkt. Prince stellt den Koitus („There Okay Okay“) ebenso wie den Post-Koitus („I’m So Cold, Just Hold Me“) nach. Diese Passage verschwand später aus seinen Live-Versionen, aber das Ende mit Mini-Gong machte das Lied auch so zu einem Statement.
„Controversy“ wurde kein Hit, es gelang nicht in die Top 20 der Billboard-Charts, aber diese zwei der acht Songs wurden zu Klassikern. Es sind einige der anderen sechs Lieder, die zwar gelungen sind, aber Klang und Komposition des Vorgängers „Dirty Mind“ eher variieren, als dass sie eine Entwicklung darstellen. Der Fortschritt würde erst wieder mit „1999“ im Jahr 1982 kommen, als Prince eine Art futuristischen Robot’n’Roll präsentierte, der als Minneapolis Sound eine Ära prägte.
„Let’s Work“ war so ein „Dirty Mind“-ähnliches Material, in dem Prince wieder andeutete, dass sein stetig wachsender Output sich nicht von alleine vergrößerte, sondern dass dem Arbeit zugrunde liegt. Ebenso vertraut erschienen einem „Sexuality“ und „Private Joy“: Funk-Stücke aus einer männlichen „You’ve Been Mine Ever Since / You Belong To Prince“-Sicht. „Jack U Off“ war Rockabilly, wie ihn auch das Material – unbearbeitet von Synthesizern und Drum-Maschinen – von „1999“ ausmachen würde.
Auffälliger waren jene zwei politischen Songs dieser politischen Platte, in der nicht das rein Private im Mittelpunkt stand. „Ronnie Talk To Russia“ wirkte zwar recht albern, aber es wurde zumindest klar, dass der Kalte Krieg an Prince nicht vorbeiging. „Annie Christian“ dagegen klang nicht nur unheimlich – mit seinen wie irre springenden Synthi-Tönen und dem Casio-artigen Billig-Beat. Im Text über rassistisch motivierte Morde und das Attentat auf Lennon, das erst ein Jahr zurücklag, berichtete Prince zum ersten Mal über Dinge, die ihn wirklich beunruhigen, weil er sie nicht in der Hand hat: „Annie Christian / Annie Christ / Until You’re Cruxified / I’ll Live My Life in Taxi Cabs“. Es dürfte auch das erste Stück von Prince gewesen sein, in dem er als Interpret eine neue Rolle übte, denn er sang merklich tiefer, im Sprechgesang.
Bereit ein Weltstar zu werden
Ende 1981 arbeitete Prince weiter daran, die Grundbausteine seines Imperiums zu legen. Er gruppierte Musiker um sich, förderte Protegés wie The Time und Vanity, versuchte sich mit „The Second Coming“ an Spielfilmmaterial (unveröffentlicht) und hatte mit Dez Dickerson (Gitarre), Brown Mark (Bass), Lisa Coleman (Keyboards) und Bobby Z. (Schlagzeug) schon fast seine zukünftige „The Revolution“-Besetzung zusammen.
https://www.youtube.com/watch?v=AusOO7xJc60
Nie wieder, fluchte Prince an jenem unglücklichen Abend in Los Angeles, würde er jedoch vor den Rolling Stones auftreten – als wären es nur deren Anhänger, die sein Genie noch nicht verstanden hätten. Mick Jagger, der bis Ende des Jahrzehnts zu seinen größten Fans gehören würde (zum Joggen hatte er damals stets, wie er sagte, das „Black Album“ gehört), überredete ihn, der nach den Bühnenvorfall sofort zurück nach Minneapolis geflogen war, den weiten Weg nach Los Angeles erneut auf sich zu nehmen. Und ein zweites Mal den Abend vor den Stones zu eröffnen.
Prince kam. Und wurde wieder ausgebuht, denn der Vortag-Flop sprach sich rum. Die Leute waren erst recht angestachelt. Aber diesmal beendeten Prince und Band ihren Auftritt. Das Publikum? „Hat eben keinen Geschmack“, sagte Prince.
Und machte weiter mit dem, was nur er konnte.