100 Jahre Tarzan :: von Edgar Rice Burroughs
Vor 100 Jahren hatte Tarzan in einem Pulp-Magazin seinen ersten Auftritt. Den politisch bedenklichen Trash gibt es nun in einem schönen Schuber.
Edgar Rice Burroughs kann man wohl – ähnlich wie Karl May – eine zerrüttete Existenz nennen. Er versucht sich in vielen Berufen – als Soldat, Goldgräber, Bahnpolizist, Angestellter in der Fabrik seines Vaters und schließlich als Grossist für Bleistiftanspitzer scheitert überall, kann seine Familie kaum ernähren, denkt an Selbstmord und flüchtet sich schließlich in die Fiktion. In einem Akt imaginärer Selbstermächtigung erschafft er sich einen Dschungelsuperhelden, der die Frustseufzer des Autors mit seinen kehligen Siegesschreien einfach übertönt. Kein Wunder, dass schon seine erste längere Fortsetzungsgeschichte, „Tarzan Of The Apes“, die er im Herbst 1912 im „All-Story Magazine“ unterbringt, einem beliebten Pulp-Heft jener Jahre, ein großer Verkaufserfolg wird. Die Wanderarbeiter, Fabrikmalocher und Ladenschwengel in den USA haben offenbar ein ähnliches Kompensationsbedürfnis wie Burroughs selbst.
Von 1912 bis 1938 erscheint beinahe jährlich ein neuer „Tarzan“-Roman, alle erreichen hohe Auflagen. Schon Ende der 10er-Jahre ist Burroughs ein gemachter Mann. Er gründet eine eigene Vermarktungsgesellschaft, die später auch seine Bücher verlegt, die sich aber zunächst vor allem um die Weiterverwertung seiner literarischen Produkte kümmert. Vor allem die an Burroughs‘ Vorlagen nur vage angelehnten, durch einen exotischen Set und vergleichsweise wenig bekleidete Schauspieler überzeugenden Abenteuerklamotten sorgen dafür, dass die Figur des Affenmenschen sich ins globale Kollektivgedächtnis einbrennt.
Wer ein Sensorium besitzt für den kruden Charme altvorderen Trashs, der wird aber auch den Romanen einiges abgewinnen können. So erfreuen Burroughs Charaktere stets durch ihre famose Strichmännchenhaftigkeit. Die Gelehrten sind lebensuntüchtige Pedanten, Offiziere selbstredend Ehrenmänner; der weiße Bösewicht hat unweigerlich auch einen optischen Makel, ähnelt etwa einer Ratte; die weiblichen Hauptrollen hingegen, vor allen anderen natürlich Tarzans Herzdame Jane Porter, sind stets mit hübschen, geschmackvoll erotischen, jungen Damen besetzt, deren puritanische Tugendhaftigkeit jedoch ins vorherige Jahrhundert gehört. Und Tarzan ist eben Tarzan.
Burroughs‘ Plots haben bisweilen haarsträubende Plausibilitätsdefizite. Der Abkömmmling Lord Greystokes, nach dem Schiffbruch der Eltern im afrikanischen Urwald geboren und nach deren Tod von der guten Affenmutter Kala großgezogen, hat nie ein Menschenwort gehört, bringt sich aber mit den paar Büchern aus der elterlichen Hütte schließlich selber Lesen und Schreiben bei. Das ist nur eins der vielen Fragezeichen, die man schon beim Erstling an den Rand malt.
Zum 100. Geburtstag des Dschungelkönigs erscheint jetzt eine Neuausgabe von „Tarzan bei den Affen“ in einem schmucken dreibändigen Boxset, zusammen mit der deutschen Erstveröffentlichung „Tarzan und der Verrückte“ und der bisher nur in einer Kleinstauflage publizierten Erzählung „Tarzan und die Schiffbrüchigen“. Unübersehbar offenbart sich hier die heiße Nadel, mit der Burroughs seine Geschichten gestrickt hat. Doch er weiß genau, was er seiner Pulp-Leserschaft schuldig ist: Action, übertriebene Gewalt, erlesene Grausamkeiten – und am Ende haut Tarzan die Bösen zu Klump. Grobianisch-bodenständiger Lektürespaß, gewürzt mit viel unfreiwilliger Komik, wenn man den durch und durch reaktionären Subtext auszublenden vermag. Burroughs restauriert hier die Hierarchie der Geschlechter, der Klassen und Rassen. So verbürgt Tarzan alias Lord Greystoke III. mit jeder neuen Heldentat das Ständeprinzip: Aufgrund seiner natürlichen Überlegenheit setzt sich der Aristokrat eben überall durch. Noch prekärer ist Burroughs‘ Herrenmenschenattitüde. Die schwarzen Eingeborenen Afrikas zeichnet er ausnahmslos als dumpfe, blutrünstige Menschenfresser mit spitzgefeilten Zähnen, ohne individuelle Charakterzüge. Man möchte diesen plumpen Rassismus einfach mit auf den Trash-Deckel schreiben und weiterlachen, denn gefährlich kann ein so offensichtlich historischer Text schließlich nicht mehr werden. Aber wenn man davon ausgeht, dass Trivialliteratur, gerade weil sie den Massen gefallen will, auch etwas aussagt über die kollektive Gedankenwelt ihrer Zeit, dann kann einem nachträglich angst und bange werden. (Walde + Graf, 26,95 Euro)