Review: Twin Peaks, Staffel 3, Folge 5: Wir singen „Blue Velvet“
In der fünften Episode der neuen „Twin Peaks“-Staffel treffen wir auf Verschwörungstheoretiker – und einen alten Bösewicht, den wir eigentlich tot ahnten.
Zuerst feiern alle, dann kippt die Situation schnell, und wenige Regisseure bekommen diesen Moment, in dem sich ein cooler, rauchender Rock’n’Roller vom Sexy Beast zum nur noch Beast entpuppt, derart brutal hin wie David Lynch. Eben noch saß der junge Mann so lässig in der Nische des Diners, ignorierte das Rauchverbot und schindete damit Eindruck. Dann schnappt er sich eine der Teenagerinnen, die einfach nur Feuer haben wollte, und droht ihr und ihren anderen „Fickmäusen“, sie „so richtig zu ficken“. Dabei schnürt er ihr die Kehle zu. Er hat das Mädchen längst auf seinen Schoß gezogen. Die Band in der Bang Bang Bar spielt dazu den Song „Frank 2000“.
Frank! Das also ist Frank Booth im Jahr 2000. Jener psychopathische Mörder aus „Blue Velvet“, 1986 von Dennis Hopper verkörpert, der Gase inhalierte um einen hochzukriegen und bei einer Vergewaltigung nach „Mami“ schrie. Eigentlich ist er tot. Jetzt ist er wieder da. Es ist er erste Crossover eines Charakters, den Lynch ür zwei verschiedene Filme zugelassen hat. Andere „Twin Peaks“-Deuter verweisen jedoch darauf, das der Schläger „Richard Horne“, ein Abkömmling aus der korrupten Horne-Familie sei.
Zumindest steht die fünfte Folge der neuen „Twin Peaks“-Staffel ganz im Zeichen der Erinnerungen und Hommagen. Mit der Besetzung Tom Sizemores als schmierigen Immobilienmakler – einer von der Sorte, der sich bei kleinstem Anzeichen von Stress zunächst die Krawatte lockert – zollt er fast schon dem 2010 verstorbenen Dennis Hopper alias Frank Booth Tribut. Auch der galt in Hollywood als Wrack, wegen der Drogen natürlich. Sizemore, immer wieder in der Reha gewesen, wurde in der Vergangenheit zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Das schönste Comeback feiert derweil Laura Palmer, wenn auch in der Rolle der Becky, gespielt von Amanda Seyfried. Becky ist die Tochter von Shelly Johnson (Mädchen Amick). Becky leiht sich ständig Geld bei der Mutter, das sie dem nichtsnutzigen Freund gibt, der davon Koks kauft, das sie letzten Endes auch gerne schnupft. Sie sitzen dann im Cabrio, die Fahrt geht los, Becky blickt strahlend in den Himmel. Ganz Laura Palmer, die sich auch stets zugedröhnt hatte, um den Geist des BOB zu vergessen.
Von der Leinwand ins Cabrio
Lynch vertraut der Wirkung von Gesichtern in minutenlanger Großaufnahme, das war bei Naomi Watts so, bei Sheryl Lee, und das ist jetzt bei Seyfried so: Das Licht der Natur fährt mit ihren Schatten über ihr Antlitz, aber es ist kein Zufall, dass die Aufnahme so wirkt, als lehne Seyfried sich in einem roten Kinosessel (in Wirklichkeit im Autositz) zurück um einen Film zu genießen. Die Wirklichkeit spielt sich für sie im Traum ab, irgendwo dort oben.
David Lynch hätte ja fast vor Drehbeginn dieser Season das Handtuch geschmissen, weil sein Sender, „Showtime“, nicht das geforderte Budget habe bereitstellen wollen. Fest steht, dass immer weniger Handlungsstränge im Bundesstaat Washington angesiedelt sind – dort, wo eben auch Twin Peaks liegt. Fast schon James-Bond-artig, mindestens Michael-Bay-artig, springen wir von Schauplatz zu Schauplatz: Las Vegas, Buenos Aires, „das Pentagon“. Entweder will Lynch damit die Geschichte einer globalen, bösartigen, jenseitigen Verschwörung erzählen. Oder er macht sich wieder einmal über unsere Ansprüche ans „Mystery-Genre“ lustig. „Twin Peaks“, einst Seifenoper, jetzt mindestens Agenten-Geschichte.
Dazu passt auch der Einsatz des Dr. Jacoby (Russ Tamblyn). In den voran gegangenen Folgen wurde kleine Ewigkeiten lang gezeigt, wie er vor seinem Wohnwagen in den Wäldern einer anscheinend bedeutungslosen Tätigkeit nachgeht: Er lackiert Schaufeln. Wie sich nun herausstellt, war das alles andere als bedeutungslos.
Der ehemalige Psychotherapeut hat eine bemerkenswerte Wandlung durchgemacht. Von allen Figuren, die in den Staffeln eins und zwei Twin Peaks bevölkerten, zählte der Doktor zu denjenigen, die die meisten Geheimnisse in sich trugen (nicht nur, weil er von Berufs wegen zum Schweigen verpflichtet ist). Nun ist Jacoby der erste in den neuen Folgen, dessen rätselhaftes Tun entzaubert wird. Der Mann betreibt einen Piratensender, mit dem er Verschwörungstheorien in die Welt jagt (Jerry Horne und Nadine „Gardine“ Hurley hören belustigt zu). „Sie müssen zwischen den Zeilen des Verpackungstextes lesen“, schreit der Eremit ins Mikro. „Was lauert in der Toasterwaffel?“. Aus ihm spricht wohl Lynch, der uns amüsiert eine Botschaft schickt, an der wir uns wie immer abarbeiten. Was hat es mit der Waffel denn auf sich?
Die Kuh!
Dann endlich steht Dr. Jacoby in der Jauchegrube, in seiner Hand: die vergoldete Schaufel. „Schaufelt euch damit raus aus der Scheiße!“. Dieses Geheimnis also wäre geklärt. Und wir glaubten weiß Gott was, als er beim Lackieren gezeigt wurde, minutenlang.
Aber dann kommt Agent Cooper alias Coopers Doppelgänger. Er sitzt im Knast, darf einen Telefonanruf tätigen. Er spricht in den Hörer: „Die Kuh springt über den Mond“. Die elektrische Versorgung des Gefängnisses, in dem er sitzt, flackert daraufhin wie wild.
Wir müssen das ja nicht verstehen.
Der schlechte Start von „Twin Peaks“ in den USA wurde, trotz des Hypes, auch damit begründet, dass die Konkurrenz zur gleichen Sendezeit zu stark sei. Die HBO-Serie „The Leftovers“ soll Lynch etliche Zuschauer weggeschnappt haben.
Doch „The Leftovers“ ist nun vorbei, die letzte Folge lief am vergangenen Wochenende. Aber so grandios diese Serie am Ende auch war, sie ist nicht wie „Twin Peaks“. Das Mysterium der „Leftovers“ war von Beginn an klar definiert – aber es wurde nicht erklärt, wie dieses Mysterium, das Verschwinden der zwei Prozent der Weltbevölkerung, entstanden war. Bei Lynch hingegen dürfen wir uns sogar noch fragen, worin das Mysterium überhaupt besteht.
Denn: Endet der Schrecken von BOB, wenn sein Doppelgänger in der Hütte landet? Muss der verwirrte Dale/Dougie, der durch Las Vegas streunt, auch dorthin zurück? Es ist mutig von Lynch, dass er auch nach gut fünf Stunden „Twin Peaks“ 2017 noch keinerlei Fährte ausgelegt hat.