Review: „Twin Peaks“, Staffel 3, Folgen 3 und 4: Mr. Jackpots brillantes Comeback

Würde David Lynch die Rezensionen zur neuen „Twin Peaks“-Staffel lesen, er käme wohl aus dem Lachen nicht heraus. So viele Interpretationen. Alle wollen die Erklärung wissen. Aber die braucht es gar nicht. Allein, was wir sehen und – noch – nicht verstehen, ist eine grandiose Komposition

Wie sehr sich „Twin Peaks“ von dem Genre der makabren Seifenoper verabschiedet hat, zeigt der Moment, in der erstmals, und das auch erst in Folge vier, das liebliche Soundtrack-Motiv des „Laura Palmer Theme“ eingespielt wird. Auf dem Polizeitisch liegen Beweisstücke, darunter das Porträt der seit langem toten Laura. Angelo Badalamentis Melodie schmalzt sich herein, und Bobby Briggs (Dana Ashbrook), jetzt kein Schläger mehr, sondern im Twin Peaks von heute ein Cop, jault dazu wie ein Schlosshund. Lacht er oder weint er? Lustige Theatralik. Wohl mit Absicht so schlecht gespielt. Eine Erinnerung an das „Twin Peaks“ von 1991, als die Darsteller Regieanweisungen erhielten, wie in einer Sopa Opera aufzutreten.

Die neue, dritte Staffel von David Lynchs Epos ist über diese angestaubt erscheinenden Stilismen längst hinausgewachsen. Die Episoden drei und vier führen die brillante Neu-Definition jener wohl berühmtesten Mystery-Serie fort, die in den Folgen eins und zwei bereits so verblüffte. Darin machte der 71-jährige Regisseur weiter, wo er mit seinem letzten Spielfilm, „Inland Empire“ von 2006, aufgehört hatte. Eine Erzählung als Ansammlung bizarrer Kurz-Episoden, von denen überhaupt nicht klar ist, ob sie überhaupt in einem größeren Zusammenhang stehen sollen.

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Schon in „Inland Empire“ verfrachtete Lynch Kurzfilme (etwa „Rabbits“) in das 180-minütige Leinwandwerk. Es gab keinen roten Faden. Aber Lynch kommt damit durch, weil seine episodisch angelegten Alpträume so gut funktionieren, sie stehen für sich. Hier ist es der Trip von Agent Cooper/Jack/Dougie. Kyle McLachlan, der in dieser Season ohne Zweifel die Darstellungen seines Lebens gibt, befördert sich als Triple-Gänger durch allerlei Dimensionen, lässt sich durch Steckdosen und Zigarettenanzünder saugen, in einem Auto überschlagen oder einfach in Luft auflösen.

Der einarmige Bandit

Es ist ein Wagnis, den FBI-Mann überhaupt außerhalb der Wälder Twin Peaks‘ in Erscheinung treten zu lassen. Der Charme Coopers bestand immer darin, dass er, obwohl ein Großstadtmensch, sich augenblicklich in das Kleinstadtleben einzufühlen wusste und den vermeintlich schlichten Leuten mit größtem Respekt entgegentrat. Er war von 0 auf 100 ein Bewohner von Twin Peaks. Nun wandert er als Man who fell to earth durch ein Las Vegas, das er nicht versteht, im Casino wird er zum Mr. Jackpot. Eigentlich wäre das Stoff für jene legendären SNL-Spoofs, in denen berühmte Charaktere in fiktiven Umgebungen lächerlich gemacht werden.

Aber Lynch stellt Cooper zu keiner Zeit bloß. Es kann ja auch keiner wissen, wie es um Cooper steht. Ist er nur gefangen in der Black Lodge? Oder ist er schon tot?

Würde David Lynch die Rezensionen zur neuen „Twin Peaks“-Staffel lesen, er käme wohl aus dem Lachen nicht heraus. So viele Interpretationen. Und alle wollen die Erklärung wissen, deuten jedes Bild, jedes Requisit in jedem Schrankfach.

Doch das hatte schon bei „Inland Empire“ nicht funktioniert. Wer in den 18 Folgen von „Twin Peaks“ nach einem Narrativ sucht, hat verloren.

Verstörung, Zerstörung

Falls man die Musik sprechen lassen möchte, ist diese Staffel weniger Angelo Badalamenti als Trent Reznor. Kaum Symphonien, kaum Trauer, kaum Tränen, stattdessen Verstörung, Zerstörung und Figuren, die in ihren Träumen von Dämonen besucht werden, die sie fremdsteuern und morden lassen. Reznor steuerte schon zu Lynchs „Lost Highway“ die zermürbenden Tonspuren bei, und auch, wenn der Nine-Inch-Nails-Kopf hier nicht als Komponist fungiert, ist es kein Zufall, das die Figuren zu dessen mahlenden Klängen ihre Gesichter tief in den Händen vergraben; wie der vermeintliche Mörder Bill Hastings (Matthew Lillard), der wie ein Wiederkehrer von Fred aus „Lost Highway“ wirkt. Fremdgesteuert, ein Zombie. Die Farben: gritty und grau, mehr Nevada, weniger Washington, kaum satte Waldfarben, kaum Holz.

Staffel drei von „Twin Peaks“ ist bislang eine urkomische, herausragend gespielte, in seiner Verschachtelung entsetzlich neugierig machende und unerwartet blutige Serie. Das New-York-Monster aus Folge eins bot eine der wohl erschreckendsten Szenen aus dem mehr als 40 Jahre alten Lynch-Universum – viel viel effektiver als der CGI-Trash aktueller Monsterstreifen. Das Ding ist wie aus einem Aphex-Twin-Alptraum. Schwebt wie ein Engel, mordet wie ein Cartoon-Tier.

Verstaubte Helden

Die Meisterschaft Lynchs besteht darin, dass sich kein einziges Mal die Frage stellt, ob man die Gründe für BOB und MIKE und die Black Lodge nun überhaupt noch verstehen will. Obwohl der Zuschauer mehr als 25 Jahre nach „Twin Peaks“-Erstausstrahlung auf Antworten wartete. Das macht echte Erzählkunst aus. „How Do You Know It’s Missing If It’s Not Here“ fragt Officer Hawk während einer Sitzung. Ein ebenso paradoxer wie genialer Satz, der für die ganze Serie spricht.

Dabei ist nicht alles perfekt – einige der gerade älteren und alt wirkenden Charaktere müssen sich erst noch entfalten. Deputy Andy (Harry Goaz) und leider auch Hawk (Michael Horse) wirken eingerostet, ihre Szenen sind bislang weder für Erleuchtungen noch für Pointen von Nutzen. Fan-Liebling Lucy (Kimmy Robertson), die leicht unterbelichtete Empfangsdame der Polizeistation, lässt sich als Figur in der heutigen aufgeklärten Zeit nur noch schwer verkaufen. Die Frau fällt in Ohnmacht, weil sie nicht wusste, dass es heutzutage Mobiltelefone gibt, und das bringt nun ihr Weltbild durcheinander.

Gordon Cole (David Lynch)

Anders Grace Zabriskies Sarah Palmer. Auf die alte Schachtel hatten alle TP-Fans gewartet, und ihr erster Auftritt ist nicht weniger als spektakulär. Natürlich sitzt die Mutter der toten Laura vor dem Fernseher, noch immer, nach all den Jahren. Ihr Leben nach Laura besteht aus Träumen. Aber nun schaut sie Sendungen, in denen Wildkatzen, mit Nachtsichtgerät aufgenommen, in der Steppe Büffel zerfleischen. Und überall im Wohnzimmer Spiegel, die die TV-Bilder multiplizieren. Palmer hat noch eine Rechnung offen mit der Welt.

Aber die aktuellen Folgen sind in anderen Momenten auch unbeschreiblich lustig. Als Marlon-Brando-Karikatur „Wally Brando“ mit Faust-im-Nacken-Stetson und gebrandeter Lederjacke liefert Michael Cera eine Biker-Karikatur spot on. Gordon Cole (David Lynch) und Albert Rosenfield (Miguel Ferrer in seiner letzten Rolle) liefern sich Schlagabtäusche, die längst überfällig sind – wie hält man es nur mit einem Vorgesetzten aus, der trotz Hörgerät alles falsch versteht? Rosenfield, das war der Mann, der die Dörflinge von Twin Peaks verachtete. Und auch hier glänzt er, als es dienstlich nach South Dakota geht: „Black Hills, seriously? I’ve been dying to see Mt. Rushmore!“.

Langsames Malen

Es ist ein unbeschreiblicher Genuss, dass David Lynch sein Erzähltempo auch im Jahr 2017 noch beibehalten darf. Langsame Sprecher, die sehr langsam, aber eben auch sehr eindrücklich ihre Eindrücke schildern. „Do You Understand?“. Lange Pause. „No“ „Do You?“. Lange Pause. „No.“ Weil Menschen wirklich so reden, und in diesem Tempo. Kein halbwegs mit Hollywood assoziierter Filmemacher außer Lynch käme damit mehr durch, und die leider sehr schlechten Einschaltquoten in den USA und Deutschland bestätigen das. Minutenlang wird gezeigt, wie Dr. Jacoby (Russ Tamblyn) vor seiner Waldhütte Schaufeln mit Sprühfarbe bespritzt. Ohne erzählerische Einbindung in eine andere Szene. Herrlich! Es ist so heilsam wie eine Kur in den Alpen.

Nahe dem Ende der dritten Episode stürmt Lynchs Gordon Cole in sein Büro und schreit ins Telefon: „What The Hell!“ Weil er nicht versteht, was sich gerade abspielt. Wir auch nicht.

Zwei Poster zieren die gegenüber liegenden Wände seines Büros. Das eine zeigt den Pilz eines Atombombentests. Das andere Franz Kafka. Die Welt in zwei Bildern.

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