Review: Hurricane 2017, der Samstag: große Popkunst und Konsensmomente

Es lebe die Unterschiedlichkeit: Der Samstag des Hurricane 2017 vermischt Punkrock, Artpop und HipHop zu einem großen Musikfest. Regen? Nur ein bisschen.

Es ist gut, wie es ist: Im Gegensatz zum Vortag betonen am Samstag weniger Bands die politische Dimension des Festivals – vielleicht, weil es nicht mehr nötig ist. Trotz etwas energiefressenden Regens in der Nacht und am Vormittag bleibt der Eichenring in Scheeßel ein entspannter Ort; man spürt den Willen, vernünftig miteinander umzugehen. „Danke für die harte Arbeit, freundlich zueinander zu sein“, sagt Halsey bei ihrem Set – sie spürt da oben auf der Blue Stage den Willen zur allgemeinen Gelassenheit wohl auch.

Schon der frühe Nachmittag hatte gute Konzerte gebracht, zum Beispiel das von Red Fang, die mit ihrem sinisteren, gutturalen Stoner Rock unwahrscheinlicher Weise die Sonne zum Vorschein bringen. Eine Bühne weiter dazu das Kontrastprogramm: Mike Rosenberg aka Passenger singt seine sanften Wiegenlieder. Doch der Brite kann auch anders und verwandelt das Hurricane nur mit Akustikgitarre und Stompbox vorübergehend in einen Irish Pub.

Jimmy Eat World

Bands am laufenden Band: Jimmy Eat World führen 23 Jahre Geschichte mit einem Rollgriff durchs eigene Repertoire vor – der anfängliche Emo-Punk, der erwachsene Modern Rock, alles in einem Set. Dave Hause and the Mermaids Punk’n’Roll verliert sich im nur zum Teil gefüllten Zelt ein wenig, doch der Bandleader lässt nicht locker, bis die aufgekratzten und stolzen Riffs zum Publikum durchdringen. Kontra K walzt schwere HipHop-Beats übers Feld und dirigiert noch mehr walls of death – HipHop ist freilich allgegenwärtig auf dem Hurricane, das Wechselspiel aus elektronischer und analoger Ästhetik funktioniert wie ein ständiger Resetknopf für das eigene Musikerlebnis. Dann Royal Blood, deren spektakulär brachialer Led-Zeppelin-goes-White-Stripes-Sound sich viel besser auf die große Bühne übertragen lässt, als man erwarten würde – vor Mike Kerrs Verstärkern stehen sieben Mikrophone, das muss reichen.

Maximo Park

Maximo Park spielen ein wundervolles Set auf der etwas abseits stehenden Red Stage. Diese Ökonomie! Keine Band tritt am Samstag so aufgeräumt und wohlplatziert auf, zur Belohnung gibt es einen der besten Sounds des Festivals bisher. „Books From Boxes“: ein Traum von einem Lied.

Der späte Nachmittag gehört zwei Frauen. Zunächst beschert Ella Marija Lani Yelich-O’Connor alias Lorde dem Hurricane das erste große Star-Erlebnis am Samstag: Als die Neuseeländerin die Bühne betritt, sind zehntausend junge Frauen außer sich. „Gut gemacht. Mädchen“, sagt jemand nach dem ersten Lied, aber diesen Zuspruch braucht Lorde nicht mehr – die Bühnenpersönlichkeit ist entwickelt, der Electro-Artpop prononciert, der ganze Act beeindruckend präsent und selbstbewusst. Hinter der Sängerin wirken zwei ernste Musiker an Keyboardtürmen wie Chekov und Sulu auf der Brücke der Enterprise.

Lorde

Noch beeindruckender ist der Auftritt der New Yorkerin Halsey, die mit ihrer Musik aktuellen Elektro-Pop-Mainstream transzendiert. Halsey steht da oben vor Blumendeko und drei weiß gekleideten Herren an Drums, Keys und Gitarren und will etwas – eine Berührung, eine Freiheit, eine kleine Wahrhaftigkeit. Fabelhaft!

Halsey

Dann ist Headliner-Zeit. Die Editors sind am Samstag die beste Band der Welt, fluten das Festival mit dunkler Eleganz und bringen etwas Tiefes, Verborgenes ans Licht. Wie viele Möglichkeiten diese Band mittlerweile hat! Der Wave-Rock der Briten ist unfassbar gut organisiert, der Auftritt kathartisch, reinigend, beglückend.

Riesenandrang bei Blink-182: Alle wollen Punkpop, das ist der Konsensmoment. Nananananana, turn the lights off, carry me home.

Linkin Park
Foto: Heiko Sehrsam

Konsens freilich auch bei Linkin Park. Deren Konzert wirkt wie ein einziger Song, der sich hierhin und dorthin bewegt. Das harte Riff, die sehnende Melodie, der brachiale Nu-Metal-Rap, aber mittlerweile auch der Dance-Beat, die Electro-Atmo, der seichte Popsong. Aus dem Strom der Elemente steigen freilich immer wieder Hits – nein: Klassiker! – empor, der Samstag hat sein Ausrufezeichen.

Heiko Sehrsam Heiko Sehrsam
Nordphoto / Rojahn nordphoto
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