Retter Hund
HUNDEHAUPTSTADT BERLIN, hier besonders fragen sich die Bürger, warum so selten ein Schäferhund oder Dackel durch die Straßen schnüffelt, und die Antwort muss jedem Beobachter sofort einleuchten: Die Schäferhunde arbeiten bei der Polizei, auch für den US-Geheimdienst und sind ständig im Trainingslager; die Dackel assistieren dem Jäger und bewachen den Wald, was denn sonst! Der Sozialdemokrat Heinz Paula, von seiner Partei zum Tierbeauftragten befördert, verlangt ja nun gar nicht, dass eines Tages kaum noch Labrador Retriever draußen rumlaufen, weil sie im Bundestag, in den Landtagen und den Ortsverbänden dösen und ihre Zärtlichkeit an die Politiker weitergeben.
Aber Heinz Paula, ein paar seiner Parteigenossen und einige Grüne wollen die Hausordnung ändern: Jeder Bundestagsabgeordnete soll seinen Hund zur Arbeit mitbringen, ihn füttern und gelegentlich die Kacke wegmachen dürfen. Der Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat den Antrag abgelehnt, weshalb das Volk verallgemeinern könnte, dass die Opposition für das Tier eintritt und die Regierung sich vom Tier eher fernhält; der Eindruck schadet der Kanzlerin und stärkt den Kanzlerkandidaten.
Doch Paula muss wohl auch Häme aus dem Regierungslager ertragen, weil er wie eine Hundedame heißt. Er reagiert mit einem Witz und sagt, der Hund brauche ja nicht gleich am Rednerpult zu stehen (hm, bei Kafka berichtete sogar ein Affe vor einer Akademie). Manche Hundeverweigerer urteilen, die Grünen, als sie zum ersten Mal 1983 den Bundestag auflockerten, hätten genug gehaart und gebellt. Was taugt das Gegenargument, nach dem Hund würden wahrscheinlich bald das Meerschweinchen und der Wellensittich, die Katze und der Leguan folgen und sich dazusetzen? Was sollen Staatsgäste denken, wenn sie im Bundestag auftreten, den Weltfrieden und die Marktwirtschaft beschwören und ein Hund dazwischenjault oder schnarcht?
Gerade während der Wahlkampfzeit meinte Lammert bestimmt, er könne das Hundethema abtun: Schließlich geht’s am Wahltag um die Zukunft des deutschen Menschen. Brächte der „Kollege Hund“ aber nicht doch mehr Charakter in den Bundestag? Würde er vielleicht den einen oder anderen Politiker aus Alkoholismus und Selbstekel erretten? Es hat ja auch bei Julio Iglesias funktioniert, er trank gewöhnlich eine Flasche Brandy und sagte: „Ich bedaure, dass ich ein großer Musiker, aber ein schlechter Künstler bin“ – dieser Konflikt begann zu verschwinden, als Iglesias sich einen Hund kaufte, er begleitete seinen Herrn auf Tournee und ins Tonstudio; die Kunst ist immer ein Trost, der Hund gleicht da offenbar der Kunst. Der Hund hat von Natur aus nichts Tückisches, kennt keinen Wankelmut, liebt die Wahrheit und hasst die Lüge. Jetzt ist aber sogar Norbert Lammert unter Verdacht geraten, er habe bei seiner Doktorarbeit geschummelt: Bisher war Lammert von allen Parteien derart geachtet wie Mutter Beimer in der „Lindenstraße“ von allen Mietern. Der Bürger draußen im Lande vermutet mittlerweile, die Doktorarbeit entspreche der Tour de France – ohne Betrug nicht zu bewältigen!
Immerhin, die Poesie berührt Lammert: Als Christdemokrat hat er sich auf sein Talent besonnen und Gott gedient, das Vaterunser modernisiert und Hauptsätze durch Nebensätze ersetzt („Gib uns Kraft, wenn wir schwach sind“). Es würde Gott sicher gefallen, eine Andrea Nahles mit, sagen wir, einer Deutschen Dogge im Plenum zu sehen; da kommen Sigmar Gabriel und sein Affenpinscher oder Königspudel! Über ihre Hunde und das Streicheln könnten Nahles und Gabriel sich annähern, ihre Feindschaft abschaffen, Solidarität lernen und den Zustand der Sozialdemokratie verbessern.
Um eine Erkenntnis des Philosophen Nietzsche abzuwandeln: Der Politiker kann nur reifen, wenn er auch den Ernst eines Hundes beim Spielen erreicht.
In der nächsten Ausgabe kommt der „Typewriter“ wieder von Jenni Zylka.