Retroschwips
Es war der Drink der späten Siebziger - nun erlebt Gin Tonic sein Comeback als aromatisiertes Metrosex-Getränk
Irgendwann Ende der 70er-Jahre, als Punkrock zu New Wave mutierte und sich langsam ausdifferenzierte, bekamen Bier und Wodka plötzlich Konkurrenz aus England. Im Dschungel in Berlin, im Schlaflose Nächte in Hamburg, im Trampolin in Köln, überall verlangten gegelte Jungs und blondiemäßig auftoupierte Mädels nach Gin Tonic. Der von britischen Offizieren unter dem Vorwand der Malaria-Prophylaxe im 19. Jahrhundert entwickelte Highball passte perfekt zum sich cool, elegant und versnobt gebenden Zeitgeist, zu Fiorucci, schmalen Krawatten und Ray-Ban-Sonnenbrillen.
Sechs, sieben Jahre lang dominierte der Drink die Szeneläden, bis Ecstasy den Alkohol obsolet machte, die Technowelle heranrollte und alles in der braunen Brühe aus Österreich unterging. Bald war Gin Tonic nur noch eine vage Erinnerung an frühere Zeiten, wenn im Radio zufällig ein Song von ABC oder Marc Almond lief. Doch Ende der Nullerjahre erlebte der Totgeglaubte eine unerwartete Renaissance. Wo genau sie ihren Ursprung nahm, ist nicht mehr auszumachen, vielleicht bei der Schickeria von Marbella, vielleicht in den Clubs von Barcelona, jedenfalls dauerte es nicht lange und der Relaunch des in die Jahre gekommenen Getränks erreichte auch wieder die Bars und Clubs des Nordens – und wurde zusammen mit Vespas und „Mad Men“ zum Symbol eines retromodernen Lebensgefühls.
Ein bisschen erinnert das alles an den „Gin Craze“ des 18. Jahrhunderts, als ganz London nach dem von einem niederländischen Arzt als „Arznei“ erfundenen Wacholderschnaps (Genever) verrückt wurde. Doch heutzutage reicht der eigenartige Geschmack offenbar nicht mehr aus. Aromatisierung (mit möglichst vielen Zutaten) heißt das Zauberwort, mit dem immer neue Ginsorten um Anteile am rasant wachsenden Markt kämpfen. Im Gegensatz zu Whisky und Cognac ist Gin relativ einfach herzustellen, und da er schon immer aus sieben bis zwölf Ingredienzien bestand, sind den Aromatisierungsfantasien der Destillierer und der Marketingstrategen keine Grenzen gesetzt. In vielen Bars übertrumpft die Batterie der Ginflaschen mittlerweile das Angebot an Whisky. Die Berliner Bar Lebensstern etwa rühmt sich, 140 Sorten im Angebot zu haben.
Wer heute am Tresen einen Gin Tonic bestellt, darf mit einem mitleidigen Lächeln rechnen. Gin and Tonic heißt es jetzt, was very british klingt, an Savile Row erinnert und an Glencheck-Anzüge, aber leider auch an David Beckham. Denn so exzellent ein nach neuer Methode zubereiteter Gin and Tonic schmeckt, so sehr hat der Hype hysterische Züge angenommen. Das reicht vom Barkeeper, der erst das Glas mit Grünem Tee ausschwenkt über den französischen Citadelle, der in Cognac-Fässern reift, und trotzdem nach nichts schmeckt, bis zum ebenso belanglosen Pink 47, der in einer diamantförmigen rosa schimmernden Flasche dümpelt. Wie in den Achtzigern spiegelt der aufgebrezelte Gin and Tonic auch diesmal den Zeitgeist des neuen Jahrtausends wider, kommt in allen Farben und Geschmacksrichtungen daher, verspricht Distinktionsgewinn und metrosexuelle Schrille, aber auch die Geborgenheit einer konservativen Tradition. Aber wie bei Beckhams Tattoos hat der Aromatisierungswahn längst die ursprüngliche Substanz mit dekorativer Beliebigkeit zugekleistert. In manchen Bars geht der Hang zur Metrosexualität inzwischen so weit, dass auch die meisten männlichen G&T-Jünger einen Strohhalm verlangen. Nur gut, dass Roger Sterling das nicht mehr mit ansehen muss.
GIN DAMALS
Gin Tonic wurde in klassischen Longdrinkgläsern ausgeschenkt; zum Einsatz kamen fast nur Gordon’s und Schweppes, garniert mit einer Zitronenscheibe.
GIN HEUTE
Der moderne Gin and Tonic kommt im gut mit Jumboeiswürfeln gefüllten Burgunderkelch und feinst abgeschälter Limonenschale daher. Bombay Sapphire, Tanqueray, der edle Tanqueray Ten, Martin Miller’s, Hendrick’s (mit Gurke) und Oxley (mit Grapefruit) sind geschmacklich und stilistisch unanfechtbar.