Remmidemmi auf der Resterampe
Es gibt kein Entkommen: Der vorlaute Bengel Oliver Pocher moderiert bald jede Show von Pro Sieben und nervt mit primitiver Reklame
Wer etwas über den Zustand dieser Republik erfahren möchte, der muss beobachten, wie sie sich unterhalten lässt, Veranlassung sieht, die Mundwinkel aus dem depressiven Merkel-Tief zu erheben. Man konnte das sehr schön beobachten im vergangenen Jahr, als das vermeintlich lustigste Ereignis just der Moment war, in dem die Wowereit-Knutscherin Desiree Nick als Insassin des RTL-Dschungelcamps ungeniert Känguru-Hoden herunterwürgte und dabei aussah wie Deutschlands Antwort auf die Vogelgrippe. Da hagelte es Quote, und die Fernsehnation zeigte sich zumindest hinter vorgehaltener Hand in höchstem Maße erheitert. So lustig war es in Teutonia nicht mehr zugegangen seit der nicht mehr so berühmte Daniel Küblböck im Frühjahr den inzwischen fast schon berühmteren Gurkenlaster gerammt hatte. Noch erhellender aber wird es, wenn der Blick auf Platz drei der bundesrepublikanischen Amüsement-Charts fällt. Dort rangiert nämlich einer, der so etwas von überhaupt nicht lustig ist, der es aber durch penetrantes Behaupten seines Unterhaltungstalents ganz weit nach vorn gebracht hat: Oliver Pocher.
Oliver Pocher ist mit einem Vornamen geschlagen, für den es früher auf dem Schulhof zu Recht Prügel gab – und der schon Wiglaf Droste Anlass zur klagevoll gesungenen Frage lieferte: „Warum heißen plötzlich alle Oliver?“ Oliver heißen allein reicht aber offensichtlich nicht, es sei auch ein Blick auf die Herkunft empfohlen, denn Herr Pocher kommt auch noch aus Hannover, dem Zentrum der deutschen Mittelmäßigkeit (Schröder, Scorpions, 96). So etwas kann im Zweifel einen Richter ungewohnt müde stimmen, von wegen schwere Kindheit und so, aber möglicherweise hat genau diese Ortsverbundenheit unser aller Oliver zu dem gemacht, was er heute ist: der Vorzeige-Comedian, dem man nicht entgehen kann. Auf einmal ist Pocher überall. Nimmt man das persönliche Peinlichkeitsempfinden eines durchschnittlich begabten Fernsehbeobachters als Maßstab, dann moderiert Pocher bei Pro Sieben bald 90 Prozent aller Sendungen.
Und dann sind da ja noch die unendlich nervigen Fernsehspots einer Elektronik-Resterampe und die zugehörigen Plakate, von denen er 2004 auf fast jede verfügbare Haltestelle des öffentlichen Personen-Nahverkehrs grinste. „Lass dich nicht verarschen“ stand dort als Imperativ. Es war die ultimative Erniedrigungsformel einer rasant zerfallenden Gesellschaft und forderte ausgerechnet jene zur Vorsicht vor Verarschung auf, die man just in jenem Moment hinters Licht führte. Dazu gehört nicht nur ein gerüttelt Maß an Chuzpe, sondern auch eine ordentliche Portion Zynismus.
Pocher hat beides – was manche zurückführen auf seine Jugend, die er im Schatten der Zeugen Jehovas verlebte und lernte, wie man von Tür zu Tür geht, immer wieder abgewiesen wird, trotzdem penetrant bleibt und nicht einen Millimeter zurückweicht So was stählt im Umgang mit Menschen und Medien. Einen wie Oliver Pocher schreckt so schnell nichts – womit er eine der Grundvoraussetzungen erfüllt, die im deutschen Fernsehen zu Erfolg und Quote fuhren. Es ist das Prosiebte Gebot und lautet: Egal, was du tust – du sollst dich nicht schämen.
Man wird sich noch zurücksehnen nach der Zeit vor Pocher, an jene Tage, da der heute 26-Jährige noch relativ unbeachtet bei Viva und Pro Sieben vor sich hindilettierte. bei „Alles Pocher oder was?“ irgendeinen verbalen Quark breit trat, sich als Mietsklave („Rent A Pocher“) für alles und jeden verdingte und keinen Fettnapf ausließ, wenn er denn nur groß genug war, durchs Überschwappen öffentlich Erregung auszulösen. Das war nicht weiter schlimm, denn regelmäßig wurde Pocher für sein Treiben bestraft. So musste der einstige Waldorfschüler zur Fußball-Europameisterschaft in Portugal ausgerechnet mit dem Stefan-Raab-Proletenknecht Elton reisen und sich neben den Übergewichtigen in ein bescheiden dimensioniertes Wohnmobil quetschen. Das war schön anzusehen, weil das zu bestaunende öffentliche Verwesen der beiden und ihr Leiden aneinander für viele ihrer vorangegangenen Verbrechen am guten Geschmack entschädigte.
Doch dann kam die Wende. Pocher wurde eingeladen zu einem Firmenfest besagten Waschmaschinenhändlers und machte sich gemäß der ihm in die Wiege gelegten Devise „Nur frech kommt weiter“, erst einmal über die Vorstands-Herren in der ersten Reihe lustig. Die waren leider begeistert und folgerten, dass der Mann, der sie verkackeiern kann, durchaus in der Lage sein dürfte, die ganze Republik zu verarschen. So kam’s, dass Pocher den größten Erfolg seiner Karriere mit Werbespots feierte, in denen er arglose Kunden foppte. Nie zuvor hatten ihm so viele Menschen zugeschaut und applaudiert wie bei den Reklamefilmchen.
Einem wahren Künstler hätte das den Rest gegeben, nicht aber Pocher. Der gelernte Versicherungskaufmann entpuppte sich ein weiteres Mal als schmerzfrei und heimste mit seinem Paradontosegrinsen das Lob all jener ein, die es angeblich schon immer gewusst hatten. Plötzlich sagten alle, von Rudi Carrell bis Otto Waalkes: „Aus dem wird mal ein ganz Großer.“
Sie übersahen dabei, dass der Mann außer frech Blubbern nicht viel mehr beherrscht. Seine Moderationsversuche traumatisieren regelmäßig große Teile unbedarfter Zuschauer, sein Charmepotenzial bewegt sich unentdeckt im Nano-Bereich, und seine Versuche, als Stand-Up-Comedian zu brillieren, sind stets zum Scheitern verurteilt. An seinem Beispiel kann man optimal demonstrieren, dass es nicht reicht, beim Timing zu versagen und über keinerlei Ausstrahlung zu verfügen – man muss daneben auch noch völlig witzlos parlieren können.
Trotzdem hat Oliver Pocher eine Qualität. Er hat erkannt, wie das Fernsehgeschäft dieser Tage funktioniert. Er gehört zu jener Gruppe von jungen Nachwuchskräften, die wissen, dass es durchaus reicht, wenn man von der Natur passabel ausgestattet wurde, kaum Hemmungen kennt und in der Lage ist, keck, selbstbewusst und sinnfrei daherzureden. Schafft man dann noch unfallfrei die Aussprache des eigenen Vornamens, ist man reif für eine eigene Show. Eine hat Pocher derzeit. Es steht zu befürchten, dass es in Zukunft noch mehr werden.