Relaxter rocken
Gentleman kann die Sache ruhiger angehen, seit Reggae wieder zum Erwachsenenprogramm zählt
Es ist wie ein Gesundschrumpfen: Vor fünf Jahren hatten viele Kids die rot-gelb-grüne Gürtelschnalle vor dem Blick aufs Wochenend-Party-Programm längst festgehakt, Reggae war die Ansage, aus den Veranstaltungsmagazinen deutscher Großstädte nicht wegzudenken. Heute kaufen sich die Jugendlichen lieber Ramones-T-Shirts und gehen in die Indie-Disco. Das Halligalli um Reggae-Ragga-Dancehall ist vorüber: Die Musik hat sich etabliert, und Gentleman ist einer von denen, die mir ihrer Musik damals in der Subkultur begonnen haben und heute praktisch überall stattfinden. Auch im Erwachsenenprogramm.
Die ersten Schritte mit Patois-Raps und Roots-Reggae machte Tilmann Otto, genannt Gentleman, Anfang der Neunziger mit den Soundsystems Seven Star und Silly Walks, 1997 traf er Max Herre, der mit ihm den Song“Tabula Rasa“ für seine eigene Gruppe Freundeskreis aufnahm und ihn in das Super-Size-Soul-Kollektiv FK Allstar integrierte. Zwei Jahre später war „Trodin On“ Gentlemans Album-Debüt, ein Hymnenschatz für die deutschen Off-Beat-Festivals vom Chiemsee bis zum „Summer Jam“. Danach ging es mehr in Richtung Pop, „Leave Us Alone“ war sogar ein Donnerwetter-Dancehall-Hit. „Ich hatte ja den Wunsch, jetzt mal so eine HipHop-Dancehall-Platte zu machen, mal so richtig auf die Fresse, auch was für den Club. Das klappte aber nicht. Ich konnte keine Dancehall-Nummer in mir spüren.“
Dafür ist auf dem neuen Album „Anather Intensity“ einmal mehr SchönwetterHarmonie inszeniert – Radiosongs, die trotz Jamaika-Touch durch die Gastbeiträge von Sizzla oder „Shy Guy „-Sängerin Diana King selten nach Gentlemans zweiter Heimat klingen. Die Genre-eigenen Parolen („Make a joyful noise unto the Lord!“) werden auf der ersten Single „Different Places“ freundlich im Chor angestimmt, dazu ein Sax-Bläsersätzchen, kaum mehr.
Einige Songs zeigen den 32-Jährigen als Partyaussteiger, als um Ruhe bittenden Familienvater. „Wenn ich zwei Monate auf Tour bin, habe ich schon den Wunsch, an einem Ort meine Zahnbürste endlich ins Glas stellen zu dürfen und kein Hotel mehr sehen zu müssen. Und dann kommt dieser Zeitpunkt – und ich will direkt wieder auf Tour gehen.“ Gentleman kommt ja auch nicht mehr um die „Bravo“-Supershows herum, wenn er weiter will, dass die jungen Leute die wahre Musik hören. Auf Jamaika braucht er keinen mehr zu überzeugen. Die Jungs und Mädchen bekommen zwar in jeder Hütte amerikanisches MTV, aber wer die Lieblingskünstler bei Konzerten in Kingston erst ab drei Uhr morgens auf den Bühnen sehen kann, verschläft am Tag Ringtones und Um-die-Wette-kotzen-Formate. Die Jamaika-Teens haben sowieso andere Probleme. „Ich habe jetzt zwei Kinder und guck mir das an. Die Hemmschwelle ist einfach so gering geworden, vor allem, was Gewalt angeht. Dieses Gefühl von Respekt und sense ist total weg, das sehe ich auch an den Kiddies auf dem Schulhof.“ Oder in der HipHop-Kultur von Berlin.