Reißt Türen auf!
WAS ICH SELBST NACH 30 Jahren, die ich in dieser Stadt schon Rockkonzerte besuche, noch immer liebe: Genau dann, wenn man glaubt, man hätte schon alles gesehen, geht man die 125. Straße in Harlem entlang und liest in riesigen Buchstaben einen Namen, der unmöglich hier stehen kann – Metallica in Leuchtschrift am Vordach des Apollo Theater.
„Unglaublich, dass sie uns hier spielen lassen“, sagte der Sänger und Gitarrist James Hetfield während der außergewöhnlichen Premiere der Band im weltberühmten R&B-Palast. „Dieser Ort hat eine unfassbare Geschichte. Und jetzt werden wir alles zerstören.“ Aber natürlich geschah nichts dergleichen. Metallica spielten eine der besten Shows, die ich jemals von ihnen gesehen habe -heavy, tight und jubilierend -und damit genau die Qualität, die hier seit acht Jahrzehnten von dem so anspruchsvollen wie begeisterungsfähigen Publikum erwartet wird -Bessie Smith, Louis Armstrong, James Brown, Aretha Franklin oder George Clinton konnten sie liefern.
Das Apollo hat seine Türen in den letzten Jahren auch für alternative Rock-Acts wie Morrissey, Björk oder Paul Weller geöffnet. Das Set von Metallica spielte jedoch auf einem anderen Testosteron-Level. Aber Blues bekamen wir auch zu hören -das Instrumental „Orion“ von „Master Of Puppets“ etwa, ein funky vor sich hin kriechender Song, von Hetfield und Hammett in Thin-Lizzy-Manier in ihre Gitarren gehämmert. Und „Enter Sandman“, das an diesem Ort auf einen besonderen Resonanzboden traf – der legendäre Steptänzer Howard „Sandman“ Sims hatte in seinen späten Jahren häufig die berühmten „Amateur Nights“ im Apollo moderiert.
Schon eine Woche später befand ich mich wieder auf geheiligtem Boden, in der Town Hall, Nähe Times Square, wo ich Zeuge wurde, wie Geschichte gemacht und wiederholt wird: Joan Baez und Patti Smith hielten sich an den Händen und sangen „People Have The Power“. Anlass war eine von T-Bone Burnett kuratierte Benefiz-Revue mit beachtlichem Staraufgebot, deren Anlass wiederum die Weltpremiere des Coen-Brüder-Films „Inside Llewyn Davis“ war. Der Film ist eine Hommage an die Folk-Szene im Greenwich Village der 60er-Jahre. Der Abend war ein einziges Kommen und Gehen von Altvorderen (Baez, Bob Neuwirth) und Jüngern (Jack White, Marcus Mumford, Elvis Costello, Avett Brothers, Gillian Welch), alle versammelt um ein einzelnes Mikro in einem Raum, der sich wie zu Hause anfühlte. Die Town Hall war 1921 von der Sufragetten-Bewegung als demokratischer Raum für Kunst und Politik eröffnet worden. In den Vierzigern veranstaltete Folkloreforscher Alan Lomax Konzerte -und vor 50 Jahren, im April 1963, hatte Bob Dylan hier seinen ersten größeren Auftritt und kündete von der Wiedergeburt des Folk als Musik der Zukunft, die neue, lebendige Geschichten in altmodischer Reinheit und voll Idealismus erzählt.
Bluessänger Keb‘ Mo erinnerte an diesen Tag, als er Dylans „Tomorrow Is A Long Time“ vortrug, bevor Joan Baez als Stimme der Erbauung die Arbeiterballade „Joe Hill“ mit Colin Meloy von den Decemberists intonierte und danach in Patti Smiths Hymne einstimmte. „Die Herrschaft des Volkes wurde verfügt“, sangen sie und griffen sich bei den Händen -eine weitere ungewöhnliche, perfekte Verbindung auf einer New Yorker Bühne.